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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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661
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Die Poesie,

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Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Das und das vergeblicheAnkämpfen dagegen durch Frau Alving ist das Thema derGe-spenster", sie halte darum auch ich mit Sreiger für eine große undganz moderne Schicksalstragödie. Rechnen wir endlich noch den Sym-bolismus dazu, der bei dem alternden Ibsen immer mehr zurUnsitte des Hineingcheimnissens und Allegorisierens wird und mitentschiederkem Anklang an die Romantik das Wirkliche auflöst undin Stimmungen sich verflüchtigen läßt, so haben wir die Bestand-stücke seiner dramatischen Knnst beisammen, wie sie seit 1889 immermehr Einfluß gewinnen, beim Publikum und bei den Dichtern. Eshat sich geradezu eine Jbsengemeinde gebildet, mit der ganzenUnduldsamkeit solcher Sektenbildungen im neunzehnten Jahrhundert.

Weit uicht so stark, aber doch deutlich spürbar ist auch dieEinwirkung Tolstois , Auch er ist Kulturkritiker, aber bei ihm istes der radikale Haß Rousseans gegen alle Kultur als die Quelleund den Sitz alles Übels und alles Bösen. Und derselbe ver-bindet sich mit religiösen Motiven: nicht zur Natur, sondern zuder Askese des Urchristentums will Tolstoi zurückführeu. Das istein Anachronistisches und paßt wohl auch mehr für russische Ver-hältnisse und Zustände als für uns. Allein es entspricht doch wiederganz moderneu Gedanken, an Schopenhauers Pessimismus und seineMoral der Erlösung durch Askesis klingt es an. Dabei ist auchdas böse Gewissen Tcrtnllians gegen alles, was Weib heißt, in ihmwieder aufgewacht, und so berührt er sich noch einmal mit demModernsten, mit Strindbergs Weiberhaß und Antipathie gegen allenFeminiuismus. Bei diesem ist es freilich ein perverses Empfinden,das ihn den Kampf der Geschlechter auch einmal von dieser ent-gegengesetzten Seite her ins Auge fassen läßt.

Alle diese Einflüsse mit ihrer Übermacht und ihrer Kompliziert-heit strömten fast gleichzeitig in unsere Litteratur herein; seit dem Jahre1889, das darum Paul Schlenther mit Recht als das großeWerde-jahr" bezeichnet, sind sie da und werden immer deutlicher erkennbar.Aber bei der Verschiedenartigkeit, um nicht zu sagen: Gegensätzlich-keit, mnßten sie zuerst auf alle Fülle verwirrend wirken, zumal dakein Talent da war, das sich ihrer erwehren und mit einem specifischDeutschen ihnen das Gegengewicht hätte halten können. Und