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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Die Poesie.

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eriuuerte man sich, daß es auch in Deutschland solche Dichter desÜbermenschentums immer schon gegeben habe. Jmmermanns Merlinuud Grabbes Napoleou kamen wieder in Mode; dagegen überhörteman geflissentlich die Warnnng Goethes im Faust.

Aberdie Dichter lügen alle uud Zarathustra ist ein Dichter".Nietzsche trug Masken, Nietzsche war Symbolist, wie es ja nnchZola und Ibsen sind; auch dieser Zug durfte also in der Litteraturnicht fehlen; durch Tolstoi erhielt er sogar ein religiöses, mystischesElement. In der Lyrik trat das zuerst in die Erscheinung eswar ein Lallen mehr als ein Singen und Sagen, abgerissen nndunverständlich gar vieles, mehr zum Nätsellösen einladend als zumVerstehen nnd Genießen. Dann aber kam es auch im Drama undRoman: ost derb und plump wie bei einzelnen Skandinaviern,die ihre Heldeu schließlichvor dem Kreuze niedersinken" lassenund so die müdeu Seelen zur Ruhe bringen; aber auch feiueroft auch hier nur ein Lallen wie bei Maeterlinck ; dann greifbarerals Naturmystik mit Mürchengestalten und allerlei Zauberschein,oder als religiöse Mystik, die in Fieberträumeu wenigstens schautund hat, was sie beim fahlen Licht des Morgens nicht festhaltenkann, als große Sehnsucht uach dem Wunderbaren, das alles Wirk-liche weit hinter sich läßt und in dem Dunkel der Zuknnft liegt,einer Sonne entgegen, die noch nicht da ist.

Diese mystische Richtung ist der naturalistischen diametralentgegengesetzt, die Märcheudrameu, auch in der Oper die Ver-wendung allbekannter Volksmärchen, machen sich los und frei vonder Wirklichkeit. Es ist die modernste nnd neueste Phase, undeben deshalb läßt sich nicht sagen, ob wir es hier nur mit eiuerEpisode zu thun haben, die Abwechslung iu das soust allzu ein-förmige Bild des Naturalismus bringt und rasch wieder verschwindet,oder ob der Naturalismus bereits überwunden ist und einem NenenPlatz machen soll. Das wäre zu bedauern, denn das Beste, wasnur von ihm lernen können, der Sinn und Blick für das Wirklicheund Wahre, ist noch bei weitem nicht genügend ausgeschöpft undverwertet; wir können ihn noch nicht entbehren, das zeigen die Ver-stehe über ihn hinnnszukommen, z. B.die versunkene Glocke", nurallzn deutlich.