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Einleitung.
und Talente wie Annette von Droste und Heinrich Heine, GottfriedKeller und Theodor Fontane, Marie von Ebner-Eschenbach und GerhartHauptmann studieren und schildern dürfen — das bleibt doch das größteVorrecht, dessen die neuere Litteraturgeschichte sich zu erfreuen hat.Wir fassen also unsere Aufgabe so, daß wir vor allem die Indi-viduen als Träger der Entwickelung darzustellen haben, und die„Ideen" nur, insoweit sie sich in der Folge dieser Persönlichkeitenabspiegeln. Es ergiebt sich damit für uns eine ganz bestimmteAnordnung. Wir wollen die jedesmal frisch auf den Plan tretendenKämpfer und Eroberer der Reihe nach betrachten, und dann, inregelmäßigen Abständen, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt das Ergebnisihres Wirkens. Für die Autoren selbst halten wir uns im wesent-lichen an die Chronologie ihrer Geburtsjahre — mindestens für dieführenden Geister; die Gefolgsmänner ordnen wir dem Heerführernach, wie der ältere Soldat hinter dem jüngeren Offizier marschiert.Indem wir jede Figur für sich zu betrachten suchen, glauben wirdas leise Wachstum einer stetigen Entwickelung am besten beobachtenzu können. Größere Gruppen sind freilich nicht immer zu ver-meiden. Es giebt starke Strömungen, die eine ganze Reihe von Jahrenmit eigenartigem Charakter erfüllen: die Nomantik bietet das mäch-tigste Beispiel. Dennoch zeigen sich selbst hier Schattierungen; siesind durch die Wirkungen zu erklären, die allgemeinere Evolutionenauf jeden Einzelnen ausüben. „Alles ist Frucht, und alles ist Samen."Jedes erstandene Werk, jede ausgesprochene Meinung, jede lebendigePersönlichkeit wird bedingend und bestimmend auf alles wirken,was in ihrem Umkreis aufgeht. Zehn Jahre früher geboren, wärenArnim und Brentano den Brüdern Schlegel ähnlicher geworden.
Jene zehnjährigen Abstände werden wir dann gleich benutzen,um das Ältere, Bleibende ins Gedächtnis zurückzurufen, das manüber dem Neuaufblüheuden leicht vergißt. Ein unaufhörlicher Kom-promiß zwischen dem Ererbten und dem Neuerworbenen macht dasWesen aller litterarischen Entwickelung aus. Das konservative Ele-ment wahrt ihr die Stetigkeit, wie das neuernde die Lebensfähigkeit.Auch unsere Tabellen sollen dem Zweck dienen, den jedesmaligenBestand der Litteratur nach ihren charakteristischen Haupterschei-nungen knapp vors Auge zu stellen. Die Jahreszahlen bedeuten dabeiin der Regel die der Veröffentlichung, ausnahmsweise haben wir dafürin bestimmten Füllen die Daten der Entstehung eingesetzt. Es kommtwohl auch vor, daß ein minder wichtiges Werk sich mit einem