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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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Ältere Romantik, 13

wie weit Rousseau und die Engländer schon ähnliche Tendenzenvertraten, ist hier nicht zu untersuchen; die direkte Tradition desmodernen Individualismus aber führt über die ältere Romantiknicht zurück: die früheren Lehrer sind den Schülern nicht mehrbekannt.

Im Mai 1798 brachte A. W. Schlegel (17671845) dieeigentliche Begründung der romantischen Schule bei einem Besuch in derHauptstadt der Ausklärung zu stände. Er selbst, zum Übersetzen, Ver-mitteln, Formulieren geboren, ist der einzige unter ihnen, der ein un-sterbliches Kunstwerk hinterließ: die Übersetzung Shakespeares . Beidiesem Nationalwerk unterstützten ihn Dorothea Tieck (17991841)und Graf Wolf Baudissin (1789 1878). Schlegel hat17 Dramen übersetzt, darunterRomeo und Julia," denSommer-nachtstraum,"Julius Cäsar" undHamlet, " Baudissin 13,wovonKönig Lear" undOthello", Dorothea 6, zu denenCo-riolan" und dasWintermärchen" gehören. Ludwig Tieck abersteuerte zu dieser größten That der Romantik kaum mehr bei als seinen Namen.

Als Anreger sind er und Fr. Schlegel wieder in erster Liniezu bezeichnen. Friedrich Schlegel (17721829) ist der eigent-liche Prophet des Kreises, lebhaft, kampflustig, geistreich, den Wider-spruch um seiner selbst willen liebend. Ludwig Tieck (1773 1853)aus Berlin trug in dem etwas unförmlichen, früh von der Gichtgekrümmten Körper, in dem runden großen Kopf mit herrlichenblauen Augen eine Dichterseele, die nur in Stimmungen, Tönen,Ahnungen lebte. Zu künstlerischer Abrundung gelangte er selten.Auch als er (seit 1821) sich einer Kunstform zuwandte, die strengereRegelung forderte als die Stimmungsromane und Gefühlsdramenseiner Jugend, blieb ihm die Novelle immer nur ein Werkzeug,sich selbst auszusprechen. Das geschieht vor allem in den nichtmit Unrecht berühmten Gesprächen der Romane und Novellen.Sie sind nicht schmückendes Beiwerk, sondern recht eigentlich dieLebensform seiner Kunst. Die Handlung mag dürftig sein, giebtsie nur Gelegenheit, Meinungen, Stimmungen, Gedanken mitzuteilen.Wie es später Wahlspruch ward, sichauszuleben", so herrschtdamals die Sehnsucht, sichauszusprechen". Briefe, Unterredungen,Abhandlungen genügen nicht; im lebhaften Meinungsaustauschtypisch ausgeprägter Persönlichkeiten soll das letzte, entscheidendeWort gefunden werden. Auch hierin stehen moderne französische