Print 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Place and Date of Creation
Page
17
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 
  

Die Litteratur um 1800, 17

Man darf diese Thatsache nicht übersehen, wenn man dasUrteil irgend verstehen will, das gerade damals der berühmtesteKritiker seit Lessing über nnsere Litteratur sällte. Unglaublichfalsch bleibt es immer noch und allein schon geeignet, gegen die her-kömmliche Wendung von dersicheren Kritik der Romantiker" be-denklich zu stimmen; aber ohne jene Wirkung der allerdings imhöheren Sinneunlitterarischen" Unterhaltungsschriststeller und Tages-dramatiker wäre es einfach unbegreiflich. A. W. Schlegel hielt von18011804 in Berlin Vorlesungen über schöne Litteratur undKunst. Im zweiten Jahre schickte er seiner Geschichte der klassischenLitteratur eineAllgemeine Übersicht des gegenwärtigen Zustandesder deutschen Litteratur" voraus. Da heißt es denn gleich:

Es wird viel Rühmens gemacht (wiewohl nicht ohne untermischte Klagenüber die unerlaubten Neuerungen, über das einreißende Verderbnis derzügellosen Jugend) von der schönen Blüte, dem gesegneten Wachstum undder fruchtbaren Fülle unserer Litteratur. , . Um so ausfallender wird esvielleicht erscheinen, wenn ich gestehen muß, daß mir vorkommt, als hättenwir noch gar keine Litteratur, sondern wären höchstens auf dem Punkt, einezu bekommen, es hätten sich eben nur die ersten Fäden dazu angeknüpft.Diesen erstaunlichen Satz begründet er dann mit der Behaup-tung, wir hätten wohl berühmte und verehrte Schriftsteller aberdie lese man nicht. Beliebt aber seien nur die Schriftsteller, dieder Mode dienen, die unerschöpflich ein kleines Talent, ein engesStoffgebiet ausbeuten; freilich rechnet er auch Jean Paul selbstzu diesen.

Das Urteil ist ungerecht. Goethe und vor allen: Schiller besaßen ein größeres Publikum, als jemals Dichter ersten Rangesin der eigenen Zeit fanden, die französischen Klassiker etwa aus-genommen. Und das Volk hatte neben den schlechten Modepoeten die keiner noch so glänzenden Epoche gefehlt haben ganzvortreffliche Lieblingsschriftsteller. Volkskalender, wie Deutschland sie damals besaß, hat keine andere Nation und keine andere Epocheauszuweisen. Von 18081811 gab I. P. Hebel (17601826)den klassischenRheinlündischen Hausfreund" herans (18141815hieß erRheinischer Hausfreund"), aber schon seit 1799 HeinrichZschokke (17711848) seinenSchweizerboten." Zwei Volks-schriftsteller vom ersten Rang suchen mit großem Erfolg den an dieschlechteste Lektüre gewöhnten Kreisen Besseres zu bieten. Hebel, einestill friedliche Natur, lebt als Landgeistlicher uuter den Bauern.Da hat sich dem liebenswürdigen Dichter, wie Goethe so reizend

Meyer. Litteratur. " 2