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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18001810.

sagt,das Universum anmutig verbauert"; mit der Wiese, demFlußchen seiner Heimat, steht er so freundschaftlich, als wäre siewirklich das blonde Dorfmädchen mit bunten Schleifen im vollenZopf, als das er sie schildert. Diese vollkommene Einheitlichkeitder Stimmung verleiht auch seinenAlemaunischen Gedichten"(1803) den unversiegbaren Reiz. Energischer, prosaischer schreibtZschokke immer als Volksaufklärer; eine Perle wieKaunitverstan"wäre ihm nie gelungen. Aber im Vortrag schwankhafter Abenteuer,in der Kunst, eine ernste Mahnung dem Leser freundlich ans Herzzu legen, wetteifert er mit dem unvergleichlichen Meister der Dialekt-dichtung.

Übertrieben also und ungerecht ist Schlegels Urteil; unbegreiflichist es nicht. Eiue richtige Erkenntnis liegt ihm zu Grunde: dienämlich, daß zwischen den großen Dichtern und derUnterhaltungs-litteratur" der Menge nirgends eine so breite Kluft offen steht wiein Deutschland. Wir glauben, daß unser Jahrhundert in Frank-reich keinen Dichter gesehen hat, der neben Goethe stehen darf, undauch neben Schiller Victor Hugo zu stellen, tragen wir Bedenken.Aber wie viel gute Autoreu zweiten Ranges hat ausnahmslos jederAbschnitt der französischen Litteraturgeschichte neuerer Zeit aufzu-weisen! Und wie viel sicherer sind sie in der Sprache, in derTechnik, in dem eigentlich Künstlerischen als unsere Schriftstellervon entsprechender Bedeutung! Wir besitzen in Deutschland wirk-lich bedeutende Autoreu, die überhaupt nicht schreiben können, wieJeremias Gotthelf ; solche, denen nur gleichsam zufällig einmalein gut geschriebenes Stück entschlüpft, wie E. Th. A. Hoffmann;solche, die ein ursprünglich vorhandenes stilistisches Talent sofurchtbar verwahrlosen lassen wie Gntzkow. Wir haben Dichtervon tiefer poetischer Anlage, die sich nie die Mühe geben, diemetrische Form ausreifen zu lassen, wie Justinus Keruer; undsolche, die sich kaum je so zusammennehmen, daß ein abgerundetesGanzes entsteht, wie Clemens Brentano . Wir haben von großenTalenten Gedichte, deren Wortsinn teilweise unverständlich ist, wiezuweilen bei Annette von Droste . Solche Erscheinungen kennt manin andern Kulturländern kaum, so wenig wie man sie bei uns vorder Zerrüttung und Unterbrechung aller Tradition im 17. Jahr-hundert kannte. Noch immer gilt Goethes Wort:

Sämtliche Künste lernt und treibet der Deutsche ; zu jederZeigt er ein schvnes Talent, wenn er sie ernstlich ergreift.