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seinen großen Mitarbeiter Karl Lachmann und auf seinen Bruder,sowie die schöne Rede „über das Alter", bezeichnen überhaupt eineneue Stufe in der Geschichte unserer akademischen Beredsamkeit:poetischer, wärmer, eindringlicher lösen sie die kühlen AbhandlungenWilhelm v. Humboldts ab. — Wilhelm Grimm aber ist vor allemder Hauptredaktor jener unschätzbaren Sammlung, der „Kinder-und Hausmärchen " (1812,1814). Herder hatte eine solche Samm-luug gefordert; aber erst jetzt gelang sie, und das war gut: frühereZeiten hätten für die Eigenart des Märchens noch nicht den sicherenBlick, an seiner schlichten anschaulichen Technik noch nicht die rechteFrende gehabt; noch die Schlegels oder Tieck hätten sich nicht mitdieser klassischen Nachschöpsung, Nacherzählung begnügt.
Wilhelm Grimms Sohn Herman, unser berühmtester Essayist,heiratete Bettinens und Achim von Arnims Tochter Gisela, sodaß die romantische Poesie nnd die ihr verschwisterte Philologiewenigstens in ihren Kindern eine symbolische Ehe eingingen.Bettina (1785—1859) ist aber auch selbst der Brennpunkt, indem die Strahlen der verschiedensten Leuchten sich begegnen. Schöncharakterisiert sie in diesem Sinne ihr Bruder: „Sie, die nach allenSeiten janchzet und gleich einer Schallsonne alle Stimmen der Echoin ihr Herz aufnimmt!" Clemens' Schwester, Arnims Gattin, ver-eint sie Eigenheiten der süddeutschen und norddeutschen Romantik:die lyrische Weichheit, den Stimmungsreichtum der einen mit demkräftigeren Erfassen der Gegenwart bei den andern. Wie Arminund Fouqus, aber noch stärker als beide, nimmt sie Anteil ampolitischen Leben und widmet der Pflicht unserer Fürsten, Königeder Armen und Beladenen zu sein, zwei Werke: „Dies Buch ge-hört dem König" (1843), Friedrich Wilhelm IV. zugeschrieben undder Idee gewidmet, an dem Königtum sei es jetzt, den Geist derRevolution in einen wohlthätigen Geist der Freithätigkeit umzuformen,und „Gespräche mit Dämonen" (1852), wo der schlafende Königwie jener Majoratsherr in der Erzählung ihres Gatten mit denGeistern der Zeit sich bespricht. Vor allem aber bedeutet Bettina die Versöhnung der Romantik mit Goethe. Bei aller offiziellenBewunderung hatten die Jüngeren von ihm wenig gelernt, wie erseinerseits von Kleist nnd Hoffmann nichts wissen wollte; undBrentano hatte sich sogar in eine böse Verdrießlichkeit gegen die„Weimarer Ziererei" hineingeredet. Jetzt erst, in Bettinen, wirddie Verehrung unseres größten Dichters lebendige Wirklichkeit.
Meyer, Litteratur. 3