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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Friedrich Rückert ,

5.7

Figuren ein Konflikt aufgezwungen werden innere Probleme,seelische Verwickelungen, Entwickelungskäinpfe giebt es nicht. Ebensowenig giebt es Schwierigkeiten der Form. Man kann sie sich selbstschaffen und hat dann die Freude deräiktieults vairieus", aufdie die Ästhetik des siebzehnten Jahrhunderts so großes Gewichtlegte. Aber wenn der Dichter wollte, könnte er, was er in schwierigenMaßen und verschlungenen Reimen ausspricht, ebenso gut' in deneinfachsten Formen sagen. Diese Virtuosen besitzen für das Ge-heimnis derinneren Form" kaum ein Organ. Die Einheit voninnerer und äußerer Form gelingt Nückert in einigen Liebeslicdern,die zu den Perlen unserer Liebeslyrik gehören (Er ist gekommenin Sturm und Regen") und in einigen Nachahmungen des Volks-liedes (O süße Mutter, ich kann nicht spinnen";Aus der Jugend-zeit"). Sonst verliert er allzu leicht die Unterscheidung von Dichtenund Versificieren. Und diese gleichmäßige Art, alles in das einmalgewählte Metrum hineinzudrückeu, macht auch dieWeisheit desBrahmanen" (18361839), sein vielgepriesenes Lehrgedicht, alsGanzes dem modernen Stilgefühl fast unzugänglich. Die Belehrungüber Nutzen und Schaden des Tabakrauches wird nicht anderes vor-getragen als die über Gott und den Frieden der Seele. Oft glaubenwir den alten Goethe zu hören und nicht ganz felten auch deualten Polonius. So löst sich das Buch in Einzelheiten auf, ineine Sammlung von Mottos und Stammbuchblüttern. Als solchefreilich ist dieWeisheit des Brahmanen" unerschöpflich. NebenGoethe hat kein Dichter seinem Volk einen solchen Reichtum vonWeisheitssprüchen gespendet wie Rückert . Eine Epoche, der Lehr-haftigkeit in künstlicher Form als Höchstes galt, hat dann ausdiesem künstlerisch unfertigen Sammelbnch Nückerts Hauptwerk ge-macht. Darüber wurde Vollendeteres vergessen und erdrückt. Werliest noch die köstlichenMakamen " (1826), in denen die orientalischeKunst, aus dem Wort Gedanken- und Reimspiele aufblüheu zulassen, so ergötzlich nachgeahmt ist? oder die schönste Blüte seinerUbersetzungskunst, die Wiedergabe des rührenden indischen EpyllionsNal und Damajanti" (1828)? wer kennt das IdyllRodach"(1825)? Die steifsten und härtesten Alexandriner des Spruch-gedichtes citiert man; aber wie viel mehr von seinen Liedern sollteman singen!

Nückert bedeutet einen Wendepunkt in der Geschichte derdeutschen Lyrik. Ihm floß sie noch in unerhörter Fülle und Leichtig-