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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
66
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18101L20.

ihm ganz verhaßt, die ohne eigene Kraft Sklaven der Sinnlichkeitsind: gebunden, aber nicht von der höchsten Macht; dein Willen ge-horchend, aber einem dumpf instinktiven. Sie sind dieBarbaren",die immer wieder den geläuterten Menschen wie ein wildes Heergegen übertreten: die Räuber in derAhnfran", die Kolcher imGoldenen Vlies;"; selbst ihre halb unartikulierte Sprache kennzeichnetsie als Halbmenschen: Aietes, Galomir, Jsaak in derJüdin ". Siemüssen ganz herab, vernichtet, verspottet, beraubt werden; sie sinddie ewige Gefahr der Humanität.

Dieser stete Kampf zwischen der in ihm lebenden irdischenBegier und dem anderen Geist, der sich vom Dust zu den Gefildenhoher Ahnen hebt, diktiert auch der Technik des Dichters ihre Eigen-art.In mir leben zwei völlig abgesonderte Wesen. Ein Dichtervon übergreifender, ja sich überstürzender Phantasie, und ein Ver-standsmensch der kältesten und zähesten Art." Er schreibt in fieber-hafter Hast, wie gepeitscht,die Ahnfrau" iu wenigen Tagen nieder,in sein Zimmer eingeschlossen, ohne zu essen und zu trinken, alssagten ihm unsichtbare Mächte die Verse vor, die er hinwirft. Unddann schreibt erSappho " und ist stolz auf die sorgfältige undeingehende Berechnung jeder Scene. Die verschiedene Beanlagnngder altbürgerlich-soliden Familie des Vaters und der künstlerisch-leidenschaftlichen der Mutter hat sicher ihren guten Anteil an dieserinneren Doppelheit.

Es war also keineIronie des Schicksals", es war sast Natur-notwendigkeit, daß der Dichter derAhnfrau" eine dürftige Beamten-laufbahn führte. So dürftig hätte sie nicht zu sein brauchen; dastrockene Handwerk aber war für ihu Bedürfnis. Er machte einesehr langsame Bahn dnrch, fiel in Ungnade, weil er in einem Ge-dicht auf dasLam^o vaec-inv" in Rom die Entfernung des Kreuzesaus den Ruinen des Kolosseums gefordert hatte, was Gotteslästerungbedeuten sollte, ward zweimal bei der Beförderung Übergängen, daszweite Mal besonders schmerzlich um des jungen, hoher Konnexionengenießenden Dichters Friedrich Halm willen. 1356 trat er inden Ruhestand nnd lebte in ärmlicher Einfachheit, vier Stockwerkehoch.Dort tritt man in ein kleines Gemach, das einzige Fenstergeht nach dem Hofe, ein Bücherschrank füllt die Wand gegenüber.Die Bibliothek ist nicht groß, aber auserwählt. Eine Thür führtin das Wohuzimmer Grillparzers. Es ist nicht eben groß nndhat zwei Fenster nach der Spiegelgasse, die Lage ist gegen Abend,