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1820—1830.
Dialektdichtung, Adolf Glaßbrenner (1810—1876), der echteBerliner, mit seinem „Eckensteher Nante ". Glasbrcnner verzichteteganz ans geschlossene Form und gab nur in zahllosen Monologenund Dialogen ausgezeichnete Ausschnitte aus dem Straßen- undGesellschaftsleben der Hauptstadt („Berlin wie es ist und — trinkt"1832—50), realistische Genrebilder, wie sie eben damals auch inFrankreich durch Henry Monnier (»Zesuss xopulaires« 1835) mitgrößtem Erfolg gepflegt wurden. Freilich sind sie jenseits desRheines zu einer eigenen kunstvollen Litteraturgattung geworden(ich erinnere nur an die zahllosen Schriften der „Gyp"), wahrendbei uns die Tradition abstarb, sehr zum Schaden der Posse unddes Lustspiels. —
Wichtiger ward eine andere halblitterarische Form, die nichtminder entschieden Partikularistischen Ursprungs war: die Parla-mentarische Beredsamkeit.
Endlich einmal wurde der mündlichen Rede ein Spielraum er-öffnet, wie Kanzel und Katheder ihn nicht bieten können. DerPrediger und der Professor halten stets nur Monologe; die echteBeredsamkeit aber entsteht aus dem Kampf der Meinungen, diewahre „Rede" ist nur ein Bruchstück aus einer eiservollen Diskussion.
Jetzt ward, in Süddeutschland wenigstens, die Rede möglich.Rasch folgten sich die Parlamente: das bayerische ward am 4. Fe-bruar, das badische am 22. April, das württembergische am 10. Juli1819 eröffnet. Die Namen der Uhland und Pfizer lenkten dieAufmerksamkeit des ganzen Deutschland auf die Stuttgarter Kammer;das klassische Land der jungen Kammerberedsamkeit aber wardBaden. In einer älteren Sammlung von „Politischen Reden" stehennnter 36 deutschen Stücken 20 badische. Joh. Adam v. Jtzstein(1775—1855), Ludw. Aug. Frh. v. Liebenstein (1781—1824),C. Th. Welcker (1790—1869), vor allen aber Karl Wenc.v. Rotteck (1775 — 1840) wissen, daß sie vor Deutschland reden und nicht bloß vor den Zuhörern der Kammer. Sie habensich alle an der glänzenden Beredsamkeit der französischen Depu-tierten geschult, an dem beredtesten aller Parlamente, dem derRestauration, auch an den Wortführern der großen Revolution.Sie teilen mit ihnen die Überschätzung des Wortes und vor allemdes Schlagwortes. Sie definieren und deduzieren viel zu viel undleiden an der akademischen Breite ihrer Ausführungen. Erst dasJahr 1848 giebt der deutschen Kammerrede ihren eigenen Stil.