Druckschrift 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
115
Einzelbild herunterladen
 
  

Willibald AlexiS ,

115

Dorothe" (1856) mit dem Großen Kurfürsten. Die Hohenzollern -Porträts dieser Romane übertreffen an historischer Ähnlichkeit dieHabsburger in Grillparzers Dramen; nirgends aber ist ein Buchum sie nur herumgeschrieben: der eigentliche Held ist das branden-burgisch-preußische Volk. Und als echter Historiker geht WillibaldAlexis liebevoll auf den Boden ein, dem diese große Volksindividualitätentsprossen ist. Die Poesie der märkischen Landschaft hat er entdeckt,eine stille, ernste Poesie der hohen Kiefern und stillen Seenweitab von der malerischen Großartigkeit der amerikanischen Ur-wälder, wie Sealsfield , von der bezaubernden Schönheit der neapoli-tanischen Küste, wie Nehfnes sie damals malte. Hier wächst einernstes kräftiges Volk auf, zum Erobern geschaffen und zum Fest-halten. Der trotzige Bürgermeister des alten Berlin , der dem Kur-fürsteil nicht dienen will, ehe der steinerne Roland durch die Straßenwandert, und Kurfürst Joachim, der sich gegen Luther und dieneue Zeit wehrt sie sind von einem Blute; der Große Kurfürst,Idealist und Realpolitiker zugleich, und die Kämpfer der Freiheits-kriege sie sind Kinder der gleichen Mutter. Dieser Bodenschenkt nichts; entrissen muß ihm alles werden, sogar die Poesie;ist aber die Kiefer emporgeschossen aus dem dürren Erdreich, dannhält sie mit starken Wurzeln den Boden fest, in dem sie sich zurHöhe aufgeruugen. Da entsteht kein Volk von leichtlebigen Sängern;ihr Blut fließt schwer, und ihr Witz kann grimmig werden wie derin der Not des Vaterlandes verbitterteJsegrimm". Ergeben siesich aber einmal der Verführung, dann sind sie verloren, wie Alt-Berlin in seinem lockern Leben, wie das Berlin vor 1806 in derFrivolität seiner vom Hof uiA vom Ausland verdorbenen Sitten.So erhält besondersRuhe ist die erste Bürgerpflicht" zugleicheine uationalpädagogische Teudenz. Es ist der geistreichste RomanHärings, obwohl sich die Kriminalgcschichte etwas zu breit macht;die Typen der preußischen Hauptstadt um die Weude des Jahr-hunderts sind mit erstaunlicher Anschaulichkeit hingezeichnet vomMinister bis zum Fischweib, und die Landpartie der Philister-familie ist so lebenswahr wie das Diner zu Ehren Jean Pauls .Und wieder sind die historischen Porträts zn bewundern: der König,in seinen wenigen Worten sicher hingestellt, der große MinisterStein und ihm gegenüber Graf Haugwitz mit seinem unwahrenRousseautum; und Madame Braunbiegler (eigentlich hieß sie MadameDntitre), die Prachtvolle reiche Bürgersfrau, die Goethen mit den

8*