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1S20—1830,
Und fester drückt' ich meine Stirn hinab,Wollüstig fangend an deS GrauenS Süße,
Das klingt modern, hypermodern; das könnte in Dörmanns„Nenrotica" stehen wie bei seinem Meister Baudelaire . Und wirklichist diese grenzenlose Fähigkeit des Nachempfindens leiser Bewe-gungen, diese Sensitivität und Nervosität ohne Beispiel in jenerZeit; und ohne Beispiel blieb es, wie sie doch aus all diesen kleinenStößen und Zuckungen sich zu der Kraft einer streng geschlossenenWeltanschauuug erhob. Der Anschluß an die Kirche that es nicht;der Wille der Individualität entschied. Ihre Gedichte zerfallenoft in hart aneinandergestoßene Verse; aber in jedein einzelnenVers lebt sie selbst. Nie hat sie Zugeständnisse gemacht, nichtihrer Zeit, nicht einmal dem Vers. Ihre rauhe Kunst behagte demPublikum freilich nicht wie Ernst Schutzes süße Verse; nud nochheut ist sie viel genannt, wenig gekannt. In der Meisterschaftintimer Lyrik aber, in der Fähigkeit, dnrch ihre Balladen dieStimmungen des Graueus, des Schreckens, der Rene und Ver-söhnung zu „suggerieren" (ich nenne nur den wunderbaren „Lxiritustamitiaris des Roßtäuschers"), in der kraftvollen Nachzeichnung land-schaftlicher Eigenart hat diese größte deutsche Dichterin alle Vers-künstler ihrer Zeit so unendlich übertroffen und mehr noch über-troffen als Willibald Alexis mit der Größe seiner Gesamtauf-fassung oder Jeremias Gotthels mit der Stärke seiner Anschauungdie zahllosen Erzählertalente, die die Zeit vorzog.
Im Gegensatz zu den späten Erfolgen Jmmermauns, Platens,Annettens hat Heinrich Heine fast von Beginn seiner ThätigkeitTriumphe gefeiert; und wie nachhaltig war seine Wirkung! Nurmit der Nachwirkung der Schillerschen Dramatik läßt sich Heines Einfluß auf die deutsche Lyrik vergleichen; und auch in der Prosahat er unverkennbare Spuren hinterlassen. Der Versuch fanatischerFeinde, ihm alle „eigentliche Bedeutung" abzusprechen, dürfte dnrchdiese Thatsache allein als erledigt gelten. Aber welche Bedeutungdieser merkwürdigsteu Individualität der neueren deutschen Litteraturzukommt, das wird allerdings ein viel umfochtenes Problem wohlnoch für Generationen bleiben.
Heinrich Heine ist von dem Glück, das den Dichter bei Lebzeitenbegleitete (nicht so den Menschen!), auch noch nach dem Tode be-güustigt worden. Er hat freilich so unverständige Lobredner undso verblendete Verkleinerer gefunden wie nnr irgend Platcn; aber