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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Buch der Lieder ". 131

Tragödien voll romantischer Phrasen und unglücklicher Anspielungen.Und doch ist es nicht ganz unwahr, wenn er einmal versichert:Ich hab' mit dem Tod in der eigenen Brust den sterbenden Fechtergespielt". Denn sür diese Natur mit ihrer unaufhörlich sich be-wegende» Beobachtung war jede Konzentration auf ein Gefühl vondurchdringendem Schmerz begleitet, kam die lebhafte Nachempfiudungeines gespielten Liebeswehs dem Gefühl mindestens gleich, das einbeliebiger ehrlicher, aber kühlerer Mensch bei dem wirklichen Erlebnisdurchmacht.

Daher auch die Kraft in denRomanzen". Eine ist da-runter, die zu Heines größten Leistungen zählt: dieGrenadiere".Sicher empfand er bei aller Bewunderung Napoleons nicht, wasein Grenadier der Großen Armee bei der Nachricht von Wa-terloo fühlen mußte. Aber indem er sich in die sremde Seele ver-setzte, verdrängte er jedes Bedenken, jede Störung, die sonst seinEmpfinden hätte kreuzen können; und aus der Macht dieser ein-heitlichen Stimmung erwuchs der großartig schlichte Ausdruck. DasVorbild des Volksliedes kommt ihm zu Hilfe; das mächtige Lied:Dein Schwert, wie ist's von Blut so rot! Edward!" hat ihm vor-geklnngeu bei den Versen:Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrigsind". Und am Volkslied hat er auch die eminente Knappheit desAusdrucks gelernt, die er nach Legras' treffender Beobachtung ausder Technik der volkstümlichen Ballade auf jedes Lied übertrug,während die lyrische Volkspoesie sich keineswegs durch Kürze aus-zeichnet.

Nen ist bei Heine, wie auch Legras hervorhebt, noch einetechnische Eigenheit, die uns freilich seitdem durch zahllose Nach-ahmer geläufig geworden ist: Heine läßt seine Lieder ohne Über-schrift. Allerdings wird das in der ersten Sammlung erst vor-bereitet, indem einige titellose Gedichte wenigstens einen Gesamt-namen haben; aber noch im selben Jahr erscheinen von Heine Gedichte ohne jede Überschrift, nur mit Kollektivtiteln wieLieder",Vierzehn Lieder". Die Dichter des Mittelalters und die Volks-sänger hatten individuelle Überschriften überhaupt uicht gekanntund höchstens Gattungsnamen über die Gedichte gesetzt. Aber seit-dem die Lyrik an das gedruckte Buch angewachsen war, verstandsich eine wenn auch uoch so bauale Überschrift von selbst. IndemHeine sie aufgiebt, vermutlich uach dem Muster der Volkslieder,erreicht er zweierlei. Er betout, daß das einzelne Gedicht nur ein

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