„Reiscbilder"
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aus Osterode, hat dann nach Erscheinen der „Harzreise " dies Spielaufgedeckt, wobei der übermütige junge Doktor abgetrumpft wordenwar. ' So ist aber alles in diesem Buche. Wirklichkeit und Spiel,das Erlebnis und das Traumbild gehen ineinander über, Romantikund Realismus haschen sich. Es scheint uns deshalb durchausirrig, von einer „Grundidee" des Büchleins zu reden, die etwa inder Opposition gegen alles konventionelle Philisterleben bestände.Die Grundidee ist nur die, daß Heine ein wirkliches, höchst einfachesErlebnis poetisch ergiebig machen will. Er wiederholt seine Reise inGedanken und fragt sich dabei fortwährend: was hätte nun hier ge-schehen können? und täuscht sich in eine romantische Liebesepisode,in eine übermütige Parodie burschenschaftlicher Freundschaftsbegeiste-rung, in Märchenstimmungen hinein. Aber, all dies ist keines-wegs „erfunden", sondern es ist nur die ganze Reihe wechselnderMomente, die jeder ans solcher Wanderung durchlebt, zu einerKette abgerundeter, in der jedesmaligen Stimmung ausgestalteterBilder geformt. Diese Kette ist aber zugleich durchkomponiert, sodaß sich die einzelnen Stücke wirkungsvoll voneinander abheben;und ein Grundaccord tönt allerdings überall mit, der jener angeb-lichen „Grundidee" nahesteht: es ist die Sehnsucht nach einem vollen,ausfüllenden Gefühl im Gegensatz zu den Hohlheiten nnd Halb-heiten der Professoren, Burschen und Schneidergesellen.
Hiermit ist aber in gewissem Sinne die Grundform vor-gezeichnet nicht nur für alle größeren Dichtungen Heines, sondernauch für alle seine Gedichtsammlungen. Es sind wirklich allesReisebilder. Die geistreichen Artikel über englische und französischeZustünde, die zum Teil gauz genialen Bücher über deutsche Dichtungund Philosophie, die Streitschriften gegen Wolfgang Meuzel und dieSchwaben sind in der gleichen lässigen Wandermanier gehalten;nur fehlen hier die Gedichte. Und der „Atta Troll " und das „Winter-märcheu" sind ebensolche Wanderromane; nur ist der Reiseberichthier der Versform angepaßt. Überall aber bleibt dies das Schema:Heine geht eine bestimmte, genau abgesteckte Strecke durch und suchtjeden Moment individuell zu beleben, jeden in seinem Charakter,bald witzig, bald sentimental, bald kosmopolitisch, bald deutschpatrio-tisch — immer aber hält er dabei eine gewisse Grundstimmung fest,zu der jedes Einzelstück mit künstlerischer Feinheit abgetönt wird.Daher sind seine Schriften bei aller scheinbaren Zerfahrenheit soeinheitlich in der Gesamtwirkung. Die Lieder und die Witze, die