HeimS Witz.
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Heine sagt: „Der Wirt trug einen hastig grünen Lcibrock". Dieauffallende Farbe läßt die raschen eiligen Bewegungen des hinund her springenden Wirtes doppelt auffallen; das „hastig" gehörtwirklich nicht bloß zum Leibrock, sondern zur Farbe. Goethesagt einmal von Lichtenberg: wo er einen Witz macht, liegt einProblem verborgen; von Heine könnte man sagen: wo er einenWitz macht, verbirgt er eine subjektive Wahrheit. Man muß sichhüten, über seine Scherze hochmütig fortzugehen; oft genug sind eswirklich nur bizarre Einkleidungen von Wahrheiten, denen er selbstnicht ganz traut. Wie tief hat er z. B. seiner Zeit ins Herz ge-blickt, wenn er sagt:
Unsere Reiselust entsteht überhaupt durch jene irrige Erwartung außer-ordentlicher Kontraste, durch jene geistige MaSkeradclust, wo wir Menschenund Denkweise unserer Heimat in jene fremde Länder hineindenkcn nndsolchermaßen unsere besten Bekannten in die fremden Kostüme uud Sittenvermummen. Denken mir z. B. an die Hottentotten, so sind es die Dainenunserer Vaterstadt, die schwarz angestrichen und mit gehöriger Hintcrfüllcin unserer Vorstellung umhcrtanzcn, während unsere jungen Schöngeisterals Bnschklcppcr ans die Palmbäume hcraufklettern.
Das trifft nicht nur die Maskerade der ethnologischen Romaneunserer Tromlitz und van der Velde, sondern es geht auch nochmit weitreichender psychologischer Tiefe auf mancherlei kosmopolitischeBrüderträume uud romantische Europamüdigkeiten der Zeit.
Den bezeichnendsten Ausdruck findet Heines blitzschnell kombinie-render Witz in den berühmten komischen Reimen. Wohl ist hier wiederLord Byron als Vorgänger zu neunen; aber der deutsche Dichter,hat ihn unendlich übertroffen. Worte und Wortverbindungen, diees sich nie hätten tränmen lassen, daß sie sich reimen können, hängenplötzlich mit einer solchen Selbstverständlichkeit aneinander, als wärensie seit Vater Opitz nie unverbunden vorgekommen: Brntus: dieMenge thnt es; oder gar in dem übermütigen Abschiedsgedicht anseinen Bruder:
Max! du kehrst zurück nach Rußlands Steppen, doch ein großer KuhschwauzIst für dich die Welt —
Natürlich, die beiden Neimworte stimmen gar nicht, wenigernoch als die zahllosen unreinen Reime bei Heine (enthält doch dasberühmte „Leise zieht durch mein Gemüt" überhaupt nur un-reine Reime). Aber er setzt sie so keck hin, daß wir keinen Zweifelwagen; fast scheint es, wie einmal der französische Kritiker Lemaitre