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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18201830.

Existenz, aber was ihr fehlte, hat seine Dichtergabe ergänzt. Heinebeschreibt in seinen Memoiren einen Großoheim:Eine rätselhafteErscheinung. Er war halb Schwärmer, der für kosmopolitische,weltbeglückende Utopien Propaganda machte, halb Glücksritter, derim Gefühl seiner individuellen Kraft die morschen Schranken einermorschen Gesellschaft durchbricht oder überspringt. Jedenfalls warer ganz Mensch." Wir, die wir jetzt wieder die individuelle Kraft,den ganzen Menschen so hoch stellen, werden über den Dichter nichthärter urteilen dürfen als er über dieserätselhafte Erscheinung".

Nur ein Jahr trennt von dem größten Lyriker nach Goethezwei Dichter, die mit ihm die Grundbedingung des Lyrikers teilen:lebhaftes Empfinden des Momentes, derZustände", wie Goethesich ausdrückt, und deren Art doch die ganze Verschiedenheit zeigt,die zwischen kräftigen Talenten und einer mahrhast genialen Kon-stitution besteht: Schereuberg uud Hoffmann von Fallersleben .

Christian Friedrich Scherenberg (1798 1881) ist zwarbei weitem der weniger bekannte, sicher aber der bedeutendere vonbeiden. Scheren berg war ein Talent von sehr begrenzter Fähigkeit,aber wahrlich ein echter Dichter. Seine leidenschaftliche Natnr hatteihn, wie Holtet und so viele andere Zeitgenossen, erst auf die Bühne,dann in mancherlei praktische Thätigkeit geworfen. Louis Schneider ,der Schauspieler, der später Kaiser Wilhelms Vorleser wurde undaus seinem langjährigen Dienst bei dem Herrscher unschätzbareMemoiren" hinterließ, führte den jnngen Poeten in die Berliner DichtergesellschaftTunnel unter der Spree" ein, deren ebensoübermütiges wie in der Kunstverehrung ernstes Treiben Fontane in einem köstlichen BuchChr. Fr. Schereuberg nnd das litte-rarische Berlin von 1840 1860" meisterlich geschildert hat.Hier ward Scherenberg bald Heros und Mittelpunkt; denn mochtenauch Fontane und Strachwitz ihn an dichterischer Begabung er-reichen den Typus desbegeisterteu Poeten" vertrat niemandwie er. Ein Träumer, der in dem kleinsten Beamtendienst un-erträgliche Fesselung sah; eine ganz auf Empfindung gestellte Natur,die gegen die eigene Familie hart sein konnte, der aber ein Sing-vogel im Käfig als Sinnbild des gefangenen Dichters unerträglichwar; liebenswürdig eitel und liebenswürdig sorg- und formlos warder für diese durchweg ernst und tüchtig im Leben stehenden Ver-ehrer der Poesie die Verkörperung der Dichternatur. Der spätereJustizminister Friedberg veranlaßte (1845) die erste Ausgabe seiner