Druckschrift 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
150
Einzelbild herunterladen
 
  

150

18201830.

Heinrich Leos interessante, aber etwas schwerfälligeJugendzeit"(erschienen 1880). Auch ihm kommt also die Vertretung der Predigtin dieser Zeit nicht zu; sie gehört den beiden berühmten orthodoxenTheologen vou Halle, Julius Müller nnd August Tholuck .Tholuck hat den Bruder Otfried Müllers, des gefeierten Archäologen,nnd Lehrer Rudolf Koegels als denaristokratischen Professor" be-zeichnet, sich selbst als den demokratischen. Das jedenfalls scheintrichtig, daß Julius Müller (18011878) nicht entfernt die Wirkungübte, die August Tholuck (17991877) auf die weitesten Kreisegewann. Tholuck ist der typische Prediger dieser Zeit; er gehörtzu Scherenberg und Heinrich Leo wie Claus Harms zu Arndt nndIahn gehört; und eben deshalb steht er dem großen Volkspredigerder Dithmarschen näher als der ihm unmittelbar vorhergehendenPredigcrgeneration. Diese hat ein Geschichtschreiber der deutschenPredigt zutreffend mit dem SchlagwortWechselwirkung derlitterarischen Kultur des Zeitalters und des Bestrebens, die Predigtneu zu beleben" charakterisiert. Ihre wichtigsten Repräsentantensind Bernhard Dräseke (17741849), der auf überraschendeEinzelwirkungen ausgeht, geistreich, anregend, aber nicht ohne Eitel-keit, und Franz Theremin (17801846), dem ein künstlerischerAusbau der ganzen Predigt Endziel ist, klar, durch plastische Kraftbezaubernd, aber nicht ohne gesuchte Hilfsmittel. Beider Predigtist durchaus litterarisch, Tholucks ist durchaus mündlich wie dievon Claus Harms . Massillon, der große französische Predigt-künstler, war Theremins Vorbild; Tholucks Beredsamkeit hat manmit der des heiligen Augustiu verglichen. Er verdient das hoheLob durch die tiefe Innerlichkeit, mit der er den Moment der Ver-kündiguug durchlebt. Der ganze Mensch ringt und strebt nacheinem Wort; eine feurige Natur, für die es charakteristisch ist, daßer das Wünschen des Menschen für das sicherste Zeugnis seinesWesens erklärt. Und nun findet er das Wort, es bricht hervormit vulkanischer Kraft als Schlußglied einermächtig drängendenGedankenbewegnng". Tholuck ist ein geborener Prediger; Mitteilungist ihm eins der tiefsten Bedürfnisse der menschlichen Natur, teil-nehmen zu lassen an seiner Erregung und Befreiung ist ihm Not-wendigkeit. Deshalb versetzt er sich auch gern in fremde Seeleu,entwirft ein psychologisches Charakterbild etwa von Pilatus, unddie historische Gestalt, aus deren Zügen Lavater einst alle Eigen-schaften des Menschen überhaupt herausgelesen hatte, wird ihm