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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18301840,

erniedrigen: nur Büttel, nur Werkzeug des geistigen Kaisers solltejeder Mensch sein, der im handelnden Leben steht.

Vielfach erneuen sich Situationen, die wir heut erleben. KarlBleibtreu hat jene Lehre, daß dieDenker" allein die Welt re-giereu, bei uns so trotzig erneut wie in England Lskar Wilde.Friedrich Rohmer ist fast genau dergeniale Mann", wie ihnIbsensHedda Gabler" und Gerhart HanptmannsEinsameMenschen " schildern; und Dramen des Ehelebeus, wie diese Dichtersie vorführen, haben Rohmer und Hebbel, Richard Wagner und Lenan ,D. Fr. Strauß und Fanny Lewald wirklich gelebt. Nur ist es derMehrzahl unserer heutigen Autoren ungleich ernster um die Sacheder Kunst; von ihrem Ringen mit der Form, von ihrem Suchennach neuem Inhalt ist bei den meisten großen Talenten dieserZeit so wenig zn merken wie etwa bei dem leichtlebigen und lustigenAnekdotendichter August Kopisch (17991853), dem Entdecker derBlauen Grotte, der eine Art Hoffmann von Fallersleben für diehöhere Gesellschaft" war, oder bei dem durch und durch epigonen-haften Lyriker und Halbepiker Karl Egon Ebert (18011882),der nur ein weniges besser dichtete als Gustav Schwab .

Freilich fehlt es nicht an Ringenden und Suchenden. Aberihr Grübeln richtet sich ans andere Dinge als auf litterarischeZiele. Das ist neben so viel Unechtem in dieser Zeit das Be-deutende: ein fauatisches Verlangen, die Rätsel der Schöpfung zulösen; eine leidenschaftliche Sehnsucht nach dem einen hohen, voll-endenden Moment, in dem Gott dem Menschen seine Geheimnisseverrät. Diese Sehnsucht war es, welche den strengen Dichter desMerlin" mit dem liederlichen Grabbe verband, welche den frommenKerner zum Freuud des Gottesleugners Lenan machte.

Zwei charakteristische Gestalten stehen an der Schwelle desneuen Jahrhuuderts: Hellmuth von Moltke (18001891), derBegründer der neuen Strategie, und Johannes Müller (1801 bis1358), der Vater der modernen Physiologie, fast könnte man sagender modernen Naturforschung. Die beiden großen Befreier ihrervon Phantasmen und Schablonen überwucherten Gebiete, die beidenmächtigen Heerführer teilen miteinander die rnhige, von dem Aber-glauben des Tages unbeirrte Schärfe der Beobachtung uud Be-rechnung, teilen auch das Interesse an Dichtung nnd Philosophie unddas Bedürfnis nach künstlerischer Form. Johannes Müller verehrteGoethe und pries die wissenschaftliche Phantasie des großen Dichters;