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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
157
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Die Gelehrten, 157

Moltke hat selbst Novellen geschrieben, etwa in Tiecks Art. JohannesMüller hat die klare und helle Darstellung auf Schüler wieHenle und Brücke und Helmholtz vererbt; Moltke stellt sich inseinen Reden und Schriften neben die Kühnheit und blitzende KraftBismarcks, fast wie Rafael ueben Michelangelo, Mozart nebenBeethoven . Beide sind aber auch darin Söhne ihrer Zeit, daß sieüber das Weltproblem grübeln, das Alexander von Humboldt fröhlich ignoriert, das sogar Ranke noch vorsichtig umschritten hatte.Die Einheit der mannigfaltigen Bemühungen I. Müllers findetein Biograph darin, daß er denPlan der Schöpfung" suchte;und daß eiu wissenschaftliches Rätsel ihn verfolgte, soll zn seinemSelbstmord beigetragen haben. Moltke aber hat noch im höchstenGreisenalter tiefernste Gedanken über Gott, Leben, Religion auf-gezeichnet, und eine stille Versenkung in die Natur der Dinge warbei ihm wie bei Goethe der Urgrund seiner im kampserfülltcn Lebengewahrten Seelenheiterkeit.

Neben die beiden exakten Forscher treten zwei spekulierendePhilosophen, einer freilich gleichzeitig selbst ein Großmeister derexakten Forschung. Doch die Verdienste, die sich G. Th. Fechner(18011887) um Psychophysik, empirische Aesthetik, Galvanis-mus erworben hat, berühren uns nicht; auch seine Gedichte unddie ziemlich zahme Satire, in derDr. Mises" als Erbe dersächsischen Humoristen Rabeuer und Weiße erscheint, würden ihmeinen Platz in der Litteraturgeschichte nicht sichern. Wohl abergehört er dahin als Typus: der rastlos bewegte Gelehrte, der sohastig lernte, wie er kaute, und so hastig kaute, daß die darausentstehende Magenkrankheit ihn sast zum Verhungern zwang; denein Poetisches Bedürfnis, verwandt zu sein mit allem in der Naturwie der Faust der SceneWald und Höhle", dazu brachte, Tierenund Pflanzen Seelenleben zuzuschreiben; der, halb Philosoph undhalb Dichter, der Ansicht des Tages trotzig seine Lehre vomLeben nach dem Tode gegenüberstellte und in lyrisch bewegtenSchriften sein neues Evangelium verkündete. Wie er, bekehrte sichG. Fr. Daumer (1800 1875) zum Glauben, er ein Dichterdurch und durch, ein Meister der Übersetzerkunst uud in seinenGhaselen ein glücklicherer Schüler der Orientalen als irgend einanderer Nachfolger Platens, ein unermüdlicherHungerleider nachdem Unerreichlichen", der in seiner Sehnsucht nach neuer, tiefererErkenntnis von dem Irrglauben, das älteste Christentum sei Kanni-