Lennus Weltschmerz, 179
Melancholie kultivierte. Seine erste Gedichtsammlung war pessi-mistisch gewesen, wie die so vieler Dichter; selbst Nhlands Gedichtebeichteten ja: „Anfangs sind wir fast zu kläglich, strömen endlosThränen aus". Aber die übergroße Wirkung hinderte jede weitereEntwickelung. Nun behagt dem Dichtergenie das Element derMelancholie. Nun macht er aus sich ein Instrument des Welt-schmerzes, eine Aolsharfe, in die der Wind sein Leid tönt. Er ge-wöhnt sich, alle anderen Klänge der Schöpfung zu überhören; nurKlagen und Anklagen fängt er auf. Bewußte Absicht war dassicher nicht; aber Nachgiebigkeit gegen die Pessimistische Tendenzseiner Seele — und seiner Zeit. Solche Stimmnugcn vertragenaber bei dem produktiven Künstler kein gleichmäßiges Beharren.Ist ihm einmal die Melancholie zur Existenzbedingung seiner Dich-tung geworden, so wird er sie nähren und steigern müssen,wie ein enthusiastischer Dichter die Berauschung. Er wird auf-hören, naiv auf traurige Gegeustände zu warten: suchen wird ernach Gelegenheiten zur Trauer und zur Anklage. Der Welt, aufderen leise Rede er erst horchte, wird er nun Worte in den Mundzwingen und so gewaltsam sich selbst immer mehr mit Tragik um-zäunen. Aus diesem wohlgepflegten Weltschinerzgarten findet erdann keinen Ausgaug mehr in das reale Leben. Überreizt undabgespannt zugleich sinkt er zn Boden, und die vergeudete Kraftrast nur noch in ziellosen Wutausbrüchen einher. Lenau ist einSelbstmörder seiner Seele, ein Selbstmörder seiner Lebensfreude,Lebenskraft, Lebenslust.
Und doch ist hierin, mag es auch Verschuldung heißen, etwasRührendes. Mit der Verzweiflung haben so viele Dichter gespielt;ihm ist es ernst mit dem Spiel. Er verhängt sich die Sonne,um nicht auch nur durch ihren Schein getäuscht zu werden. Erberauscht sich im nagenden Grübeln, zu ehrlich in seinem Wahr-heitsuchen, um alles gewaltsam wegzuwerfen. Und das ist dasdeutsche Element in ihm. Leopardi , mißgestaltet, krank, arm,hatte es leicht, zu verzweifeln; Lenau hat sich seine Verzweiflungtapfer erkämpft, erkämpft mit jenem Ernst, den der Deutsche sogern auch in das Spiel legt. Er hat sich in eine Rolle hinein-gelebt, aber so ernstlich, daß er auf ihr Stichwort gestorben ist.So rundete sich sein Leben zur Tragödie ab, und die Frenndemochten rnfen wie einst der tollkühne Schill vor Stralsnnd: „Besserein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!"
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