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Rings ein Verstummen, ein Entfärben:Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,Sein welkes Land ihm abzuschmeicheln;Ich liebe dieses milde Sterben.
Um die Natur voll auf sich wirkeu zu lassen, sucht Lenau sieam liebsten in der Einsamkeit; oder es treten als Staffage dochnur Figuren auf, die wie die Pflanzen aus diesem Boden gewachsenscheinen: die drei Zigeuner, der bleiche Mönch. Ganz selten trittin diese Gedichte eine menschliche Handlung, und dann trägt sieauch den allereinfachsten Charakter, wie in dem vollendeten Meister-werk „Der Postillon" der Gruß des lebenden an den toten Kame-raden — eine Aufhebung gleichsam der Grenzen zwischen Tod nndLeben, ein Hinüberfluten der Töne aus der Wirklichkeit iu dieGruft und aus der Vergangenheit in die Maiennacht. — Diespäteren Gedichte leiden öfters unter dem Zwang einer zur Maniergewordenen Art; die balladenartigen haben nicht allzu viel zubedeuten, die epigrammatischen sind ganz unerfreulich. Er ahmtdann die Momentbeobachtungen der Schilf- und Waldlieder, derHeidebilder und Neiseblätter etwa in den gezerrten Apostrophendes „Einsamen Trinkers" nach oder er verliert iu langen Be-trachtungen über „Beethovens Büste" die Stimmung, die er mitden charakteristischen Worten erweckt hat:
Ha! ich fand des Mannes Büste,Den ich höchst als Meister ehreNebst dem schroffen UrgcbirgeUnd dem grenzenlosen Meere.
Dann stellt sich alsbald ein, was bei diesem Virtuosen derEmpfindung sofort falsche Töne verrät: Zwang in Reim und Wort-stellung, unnatürliche Wendungen, Flickwortc. Seine ganz echtenGedichte haben keine Silbe am falschen Platz; aber die „gemachten"sind auch bei wenigen Dichtern so rasch hcrauszuerkennen wiebei ihm.
Deshalb schon war der große Lyriker nicht zum Epiker gemacht.Immer wieder zog es ihn zum Epos, und neben den drei großenhalbepischen Dichtungen „Faust", „Savouarola", „Die Albigenser"steht eine ganze Reihe kleiner Cyklen: „Clara Hebert", „DieMarionetten", „Anna", „Mischka", „Johannes Ziska", und dieletztere Reihe sollte sogar eigentlich mit den drei größeren zu-sammen eine große Kette bilden, eine Art fortlaufendes Epos in