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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
185
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Ludwig F-merbach. igz

für die geistige Entwickelung Deutschlands gewesen sein magbedeutsamer erscheint uns seine positive Lehre. Zwar mag manwohl von ihm sagen, was er von deni berühmten französischenSkeptiker Bayle gesagt hat: er ist da positiv, wo er negativ ist.Er bekämpfte die Staatskirche und die offizielle Philosophie, weilsie die freie Entwickelung der Weltanschauung hindern und denfreien Genuß der Realität. Denn er liebt alles Wirkliche, unddas Wirkliche ist ihm das Sinnlich-Wahrnehmbare, Sinnlich-Genießbare.Die alte Philosophie gestand die Wahrheit derSinnlichkeit ein, aber nur versteckt, uur unbewußt und wider-willig die neue Philosophie dagegen anerkennt die Wahrheitder Sinnlichkeit mit Freuden, mit Bewußtsein."

Es ist also keineswegs nur polemisch gemeint, wenn Feuerbach alleReligion in Anthropologie auflösen, überall Dogmen und Ritenals historisch-lokal bedingt nachweisen will, wenn ihm die Götterund der christliche Gott selbst nur Verkörperungen der menschlichenWünsche und die Opferhandlungen mir ein Erzeugnis der mensch-lichen Furcht sind. Vielmehr gilt all sein beredtes Predigen, derFeuerstrom seiner philosophischen Agitation gilt der Verherrlichungdes Lebendigen. Nicht die Götter will er erniedrigen die Menschenwill er verherrlichen. Und so spricht er auch direkt und Positivdas große Schlagwort der Zeit aus:Das Charakteristische desmodernen Zeitalters überhaupt ist, daß in ihm der Mensch alsMensch, die Person als Person und damit das einzelne menschlicheIndividuum für sich selber in seiner Individualität sich als göttlichund unendlich erfaßte." Und diese große neue Entdeckung: dasIndividuum, der Einzelne sie erfüllt sein ganzes Leben mit Be-geisterung. Er hat die mit ein paar abstrakten Figuren bemaltenSchirme vom Fenster weggeschoben nnd sieht nun entzückt hinein indie Natur. Alles individualisiert sich ihm. Die AbstraktionWasser"verdeckt ihm nun nicht mehr die tausend Gestalten des Meeres,der Ströme, der Bäche, der Teiche, Wasserfalle, des Regeus,Schnees und Eises; die unendliche Kette der Ursachen wird ihm zueinem belebten Spiel unaufhörlich sich ablösender Einzelfälle. Undso weit geht seine Liebe zu diesem bunten Spiel der Natnr, daßer um des Lebens willen den Tod liebt. Er liebt ihn, er feiertihn mit begeisterten Worten wie Goethe imPrometheus", wieNovalis in denHymnen":O Tod! ich kann mich nicht los-winden von der süßen Betrachtung deines sanften, mit meinem