190 1830-1840.
in seinem Wesen. Seine Empfindlichkeit zerstörte ihm noch auf demTotenbett die lebenslange Gemeinschaft mit Bischer. In seinenBriefen, die zu den lesenswertesten unserer Litteratur gehören (her-ausgegeben von Eduard Zeller 1895), spürt man zuMeilen eineSchwäche, die durch theologische Vorbildung so leicht wie jene halbunbewußte Freude Vischers am Verbotenen großgezogen wird: einenachtragende, fast tückische Bosheit, z. B. seiner Frau gegenüber,von der er sich scheiden ließ; und selbst in mehreren seiner litte-rarischen Arbeiten, wie denen über A. W. Schlegel und Jmmermann,sprechen kleinliche Empfindungen mit. Dagegen gehören die beidenBiographien von Voltaire (1870) und besonders von Hntten (1858)zu den vorzüglichsten Werken der Art, die wir besitzen.
Den gleichen Gegensatz wie bei den Kritikern und Ästhetikerntreffen wir bei den Literarhistorikern. August Koberstein (1797—1870) war Parteimann in literarhistorischer Hinsicht, mit ganzemHerzen bei den Romantikern, politische Fragen hielt er seinen wissen-schaftlichen Arbeiten ganz fern. August Vilmar (1800—1868),der geist- und gemütvolle, aber fanatische Verfasser der vielleichtverbreitetsten Geschichte der deutschen Nationallitteratnr, konnte seinenleidenschaftlich konservativ-orthodoxen Standpunkt auch in diesemWerke nicht verleugnen. Heinrich Knrz (1805—1873) hat alsBurschenschafter, als oppositioneller Publizist, als liberaler DocentVerfolgungen zu erleiden gehabt; seine Litteraturgeschichte aber suchtjedem Schriftsteller ohne Rücksicht auf seine Tendenz gerecht zuwerden, ohne freilich Sympathien und Antipathien ganz zu verleugneu.Wilhelm Wackernagel (1806—1869) war zu Hause ein ent-schiedener Politiker; seiue literarhistorischen Arbeiten aber strebenvöllige Objektivität an. Karl Goedeke (1814—1887) war schoneinen Schritt näher an der Verbindung der Tagesfragen mit derhistorischen Forschung: sein lebhafter Anteil an allem Volksmäßigen,seine heftige Abneigung gegen Heine als einen Verderber des Volks-geistes, seine Sympathie mit Grillparzer und besonders mit Rai-mund färbte sich zuweilen durch Aussprüche von direkt politischerTendenz. Aber G. G. Gervinus (1305-1871) war überhauptimmer uud überall Politiker, mochte er nun Geschichtswerke schreibeuoder zu den tapferen Göttinger Sieben gehören, die 1837 gegenden Verfassungsbruch protestierten. Seine epochemachende „Ge-schichte der deutschen Nationallitteratur" (1835) ist eine Absagean rein litterarische Interessen: das politische Zeitalter soll das