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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Die Litternrhistorikcr,

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ästhetische ablösen, die Litteratur soll nur noch den Zwecken natio-naler Wohlfahrt dieuen. Ein Rechthaber von typischem Gepräge,der sich in seinem langen politischen Leben nie auf einem Irrtumüberraschte, für rein künstlerische Werte kaum zugänglich, kritisiertGervinus von oben herab Werke und Verfasser in oft unerträglichschulmeisterndem Tone. Die Gesinnung ist überall die Hauptsache,so daß eigentlich nur Lessing ganz nach dem Herzen des Richtersist; die Lyrik wird verächtlich neben dengroßen Gattungen" zu-rückgeschoben; die Form spielt kanm eine Rolle, wie denn auchGervinus selbst einen unerlaubtPapiernen" Stil schrieb. Aber erwar ein Mann von sehr viel Geist und historischem Blick, von unge-meiner Belesenheit, von mächtiger Energie: die flutenden Massen derdeutschen Litteratur zu beherrschen, zn festen, übersichtlichen Gruppenzusammenzuballen, war er geschaffen. Große Tendenzen herauszu-erkennen, verwandte Naturen zusammenzustellen, besaß er die glück-lichste Gabe; im einzelnen ist seine Charakteristik schon um jenerpolitischen Parteifürbung willen immer einseitig. Auf diesem Wegeschritt dann Julian Schmidt (18181886) weiter, ein äußerstlebhafter Vorleser, der mit dem Buch in der Hand vor uns steht,auserlesene Partien herausholt, bespricht, sich dann nervös über denweißen Zwickelbart fährt und das Buch hastig mit einem apodik-tischen Endurteil in die Ecke wirft, um zu einem neuen zu greifen.In der Erfassung der kulturhistorischen Atmvsphüre unübertroffen,in der Kunst litterarischer Analyse kaum erreicht, hat der geistreicheund grundehrliche Redakteur derGrenzboten" durch die Uubedingt-heit seines stets politisch beeinflußten und moralisierend gefärbtenUrteils der voreiligen Dilettantenkritik in Deutschland leider großenVorschub geleistet und auf lange Zeit eine unbefangene Würdigunglitterarisch wertvoller Erscheinuugeu aus dem konservativen oderdem katholischen Lager fast unmöglich gemacht.

Schwanken so die Männer zwischen politischer und unpolitischerHaltung, so stehen die Frauen, soweit sie sich an der Litteraturbeteiligen, fast durchweg auf dem Standpunkt, ein tapferes, ener-gisches Eingreisen in die Tageskämpfe sei unvermeidlich. EineKämpfernatur ist vor allem auch jene merkwürdige Frau, dereuName seit Jahrzehnten unter unverdientem Spott durch dieLitteraturgeschichten gezogen wird. Jda Gräsin Hahn-Hahn(18051880), einem der vornehmsten mecklenburgischen Adels-geschlechter entsprossen, hat das Unglück gehabt, zu einer Zeit (1850)