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1830—1840.
zum Katholizismus überzutreten, in der dieser Schritt längst nichtmehr „Mode" war. Was man an Lnise Hensel bewunderte, galtbei ihr nnr für eitle Effekthascherei. Man kann ihr nicht größeresUnrecht thun. Sicherlich besaß das schöne Mädchen mit den tief-sinnigen Augeu, die Tochter des berühmten „Theatergrafen", demdie Bühne über alles ging, eine gewisse Neigung zur Schauspielerei,und als sie nach der rasch erfolgten Ehescheidung von ihrem Vetter(1829) Europa und andere Weltteile ans Pücklers Spuren uner-müdlich durchfuhr, war diese Ruhelosigkeit der interessanten Franauch nicht gerade eine Schule zur Schlichtheit. Aber die Ursachezu jener leicht komödiantischen Neigung lag nicht in Effekthascherei,sondern tiefer: in jener Begier der Zeit nach pathetischen Momentennach Wegtäuschung aus dem Alltagsleben, nach Aufregung. Siewill sich begeistern; deshalb zeichnet sie auch in ihren Romanen sogern den Jdealmenschen, den Übermenschen, auf den sich jetzt dieSehnsucht der ganzen Zeit richtet.
Als Karl Hillebrand ihre Briefe an Pückler las, warensie ihm „eine wahre Entdeckung":
Die echte und tiefe Religiosität, die aus den Briefen der Gräfin atmet,ihre reine tiefgefühlte Neigung, ihre natürliche Würde und Vornehmheit,die Höhe und Freiheit des Standpunktes und der ganzen Weltanschauungwirken so wohlthuend-bcruhigcnd nach der permanenten AufgeregtheitBettina's, daß man der Herausgeberin nicht genug Dank wissen kann, siegerade nach der Korrespondenz der geistreichen Phantastin eingeschaltet zuhaben. Dabei ist Fülle des Geistes, Fülle und Ursprünglichkeit. Und wiedas Gefühl und der Gedanke, so die Form leicht und doch individuell, indi-viduell und doch geschmackvoll: anmutig und ausgeprägt zugleich: so etwasist keine gemeine Ware, vornehmlich in unserer Zeit, und es will uns be-dünkcn — wenn unser Gedächtnis uns nicht trügt —, daß auch bei JdaHahn die Briefschreibcrin eine ganz anders bedeutende Natnr offenbart alsdie Schriftstellerin.
Ich glaube, wer sich die Mühe giebt, diese Erscheinung vor-urteilslos zu betrachten, wird diesem begeisterten Urteil näherkommen als dem landläufigen Zerrbild. Und gerade wir verstehensie vielleicht wieder besser als frühere Generationen. Denn vielfachklingen die geistvollen Bekenntnisse ihrer Romanheldinnen so merk-würdig modern! Die unbefriedigte Sehnsucht, so gewiß sie vonGeorge Sands „Lelia" (1834) stark beeinflußt ist, erhält eine anHuysmans und Maupassant gemahnende Form, wenn die „Er-fahrung" als solche der böse „Entzauberer" heißt; der Konfliktzwischen idealisierendem Traum und wirklichem Anblick etwa einer