Wilhelm Wciil'lingcr, — Eduard Mörikc. 201
Philistertums, das Justinus Kerners Familienleben oder Schwabsganze Haltung so anmutend verklärt. Er hat sich anch nicht in„Jdeenkrämpfen" mit Projekten herumgeschlagen, die er nicht ausführenkonnte, sondern erst behaglich und leicht produziert und später ohneKummer geschwiegen. Und doch war gerade er der echteste Dichterdieses Zeitraums, vielleicht kein so großes Talent wie Lenan, aberein reineres. Erlebt hat er nicht viel: er wuchs in Ludwigsburg(wo er am 8. September 1804 geboren wurde) uuter Freundenauf, die mit ihm gemeinschaftlich Traumstädte erbauten und sichin einer erfundenen Sprache unterhielten, studierte Theologie underhielt nach verschiedenen ländlichen Vikariaten die Pfarrei inKleversulzbach (1834), die er nach nenn Jahren niederlegte. 1851siedelte er uach Stuttgart über und schloß, siebenundvierzig Jahrealt, eine Ehe, der zwei Töchter entsproßten. Nach 1856 erschienennur noch vereinzelte Gedichte von dem in den dreißiger Jahrensehr produktiveu Dichter. Am 4. Juni 1875 ist er nach schwerenLeiden, die liebevolle Fürsorge erleichterte, gestorben.
Wie diesem idyllischen Leben äußerlich jeder Sturm erspartblieb, heftige Erschütterungen der ganzen Existenz, wie Bischer undStrauß sie durchzumachen hatten, fern blieben, so ist auch sein inneresLeben von allen heftigen Katastrophen verschont worden. Es lagnicht etwa daran, daß er mit kühler Vornehmheit oberhalb derWelt gethront hätte, wie etwa Wilhelm von Humboldt ; er warweichherzig, ein frommer Christ, ein warmer Patriot, er lebte mitund in seinen Freunden und herzliches Spiel mit Kindern warihm unentbehrlicher Sonnenschein. Aber er gehörte zu jenen Na-turen, in deren Nähe jede heftige Bewegung sich zu weicher Schön-heit abtönt, deren innere Harmonie alles sich angleicht, was inihren Lebenskreis kommt. Die Poesie, der er ganz nnd gar ange-hörte — denn bei allem spielenden Anschein war er ein so ernsterKünstler wie nur je einer —, sie war für ihn nnr ein Bestandteileiner allgemeineren Kunst: der Kunst, die Sehnsucht aller Diuge nachSchönheit zu erfüllen. „Ist denn Kunst", heißt es in seinem Roman,„etwas anderes, als ein Versuch, das zu ersetzen, was uns dieWirklichkeit versagt?" Aber die „wir", denen die Kunst erfüllenfoll, was sie begehren, sind nicht bloß die Menschen: seiner natur-frommen Seele haben auch die Dinge begehrendes, forderndesGefühl. Die Lampe , die Uhr, das Kinderspielzeug begehren sichmit einem schöngeformten Wort auszusprechen, und er thut ihnen