Mörikc als Dichter. 203
„Mozart auf der Reise nach Prag" (1856) zeigen eine nahe Ver-wandtschaft mit den Erzählungen Eichendorffs; aber er ist breiter,seine Behaglichkeit erinnert von fern an die altmodisch-heimischeUmständlichkeit der Erzählungen eines I. I. Engel, eines Zschokke ,nur daß das Zöpfchen ihn noch liebenswürdiger kleidet. SeineIronie ist etwas pastoraler, pädagogischer, seine Zeichnung aberviel bestimmter, seine Erfindung unendlich reicher als bei jenenBorgängern. Aumutig dringt die Freude am Kunstgewerbe auchin seine epischen Dichtungen: wie Gottfried Keller liebt er es,allerlei Wunder der Kleinkunst zu beschreiben. Behaglich ist auchsein Stil an solchen Stellen, die es irgend vertragen: will erMozarts Neisewagen beschreiben, so baut er Sätze vvu so wohulicherSchwerfälligkeit wie der alte Wagen selbst. Völlig steht er aufdem Standpunkt der alten Erzähler, daß der Epiker über seinWissen niemandem Rechenschaft schuldet: fällt ihm plötzlich etwasein, fo hat niemand zu fragen, woher er es Harz und er darf Ara-besken einflechten, wo es ihm gefällt. Auf jener Fahrt Mozarts ereignet sich ein kleines Unheil: ein Flacon mit kostbarem Riech-wasser ist aufgegangen. Jeder neuere Erzähler, selbst vor Spiel-hagens strenger Schullehre, hätte erst den ganzen Wagen nach derUrsache des plötzlich sich verbreitenden Wohlgeruchs durchsuchenlassen: Mörike vermeldet einfach, was geschehen war. Woher esdie Reisenden erfahren, ist ihre Sache.
Aber auch sein großer Roman „MalerNolten" (1832), das ersteWerk, das von ihm erschien, und das größte — 1838 folgten dieGedichte, 1839 Erzählungen, 1840 eine Blumenlese fremder und vor-trefflicher eigener Übersetzungen klassischer Poesie, 1846 die „Idylle amBodensee " — auch dies höchst merkwürdige Denkmal der schwäbisch-klassicistischen Romantik besitzt einen zauberhaften Reiz. Kunstfehlerhat es genug, und die liebenswürdigsten: der Dichter verweilt sich infreundlicher Betrachtung seiner Lieblinge, erzählt und spielt seinenFiguren wie wirklichen Gästen, wie seinen lieben Kindern Schatten-spiele und Dramen vor, die den Gang der Handlung am unrechtenOrt aufhalten, begleitet die Sterbenden fast zu predigerhaft wohl-wollend auf ihrem letzten Gang. Dennoch ist der „Maler Nolten"ein köstliches Geschenk an alle, die Zeit haben zum Lesen. Einegewisse pädagogische Tendenz durchwaltet auch dies Werk. Diereine Einfachheit ländlicher Naturen wird der Überfeinerung derStadt- und Hofkreise fast in einer Weise gegenübergestellt, die an