„M.ilcr Nölten
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zu hören, die wir nicht vernehmen, Bewegungen zu seheu, die inden stillen Gliedern schlummern. Er sieht auf der Ecke eiuerLandkarte einen Baum und ein paar Figuren gezeichnet — unddie Äste werden lebendig nnd die Figuren feiern ein Fest. Soentstand den alten Völkern die ganze Fülle der Elfen und Nixenund anderer Elementargeister. Und ganz unerschöpflich ist er inder so recht mythologischen Kunst, die Bewegungen sogar der vomTon bewegten Luft uns sichtbar zu machen. Er führt Th. Storm an die Wiege des schlafenden Töchterleins und deutet auf zweiRotkehlchen, die im Bauer vor dem Fenster standen: „Richtige Gold-und Silberfäde ziehe sie heraus; sie singe so leise, sie wolle dasKind nit wecke." Mörike lebte ganz in der Musik, vor allem inihrer häuslichen Übung, auch hierin ein rechter Nachfahr MartinLnthers, von dem er mütterlicherseits abstammte; sein Liebling war,wie man wohl begreift, Mozart, während all die Stürmer, Lenanwie die Gräsin Hahn, für Beethoven schwärmten. Und wie dieAlten eine unhörbare Harmonie der Sphären träumten, so dichteter Musik in alle Natur hinein. So ward den Alten die dnmpfeWaldesstille zum hörbaren Lachen des Pan. Auch hier gilt fürihn das Wort, das er zu seinem Maler Nolten sprechen läßt:„Wie gern erkannte ich es an, daß deiner Kunst von seiten derRomantik, die dir nun einmal im Blute sitzt, kein Schaden er-wachse. Du hast ein für allemal die Blume der Alten reinvom schönschlanken Steugel abgepflückt, sie blüht dir unverweltlicham Busen und mischt ihren stärkenden Geruch in deine Phantasie;du magst nun schassen, was du willst, nichts Ungesundes, nichtsVerzwicktes wird von dir ausgehen". Das Grausige scheut aucher nicht, so in der düstern Erzählung „Lucie Gelmeroth", die dochversöhnlich schließt wie das unheimliche Märchen „Die Hand derJezerte". Aber lieber noch schafft sein Geist, wie der des Volkes,heiter spielende Sagen und Märchen von harmlosen Dämonen, vonbösen Fischern und dummen Riesen. Er sührte diese Gestaltengeru wie in das wirkliche Leben ein, erzählte von dem pedantisch-philiströsen „Herrn Sichere" Anekdoten wie von lebenden Personen,und dessen Umwandlung in den riesenhaften Sichern Mann bildeteine zweite mythologische Schicht über der ersten. Nie aber läßt erwie Brentano seiner Phantasie die Zügel schießen; die Gestaltenbleibeil klar, möglich im mythologischen Sinne, lebendig. Denn auchhier übte er die Gabe des Maßes, die das schöne Gebet preist: