206 1880—1840.
Wollest mit FreudenUnd wollest mit LeidenMich nicht überschütten!Doch in der MittenLiegt holdes Bescheiden.
Ein Mann des Maßes und des Bescheides ist auch Adal-bert Stifter (1805—1868). Aber er war kein Sonntagskindwie Eduard Mörikc; ihm ergänzten sich die Dinge nicht zu PoetischerVollkommenheit. Stifter erblickt uur, was wir alle sehen. Ersieht es klarer, zeichnet es bestimmter ab; doch er bleibt Prosaiker.Er ist ein Meister der Beschreibung; zu beseelen weiß er nicht.
Stifter ist durchaus eine Schulmeisternatur. Den Sohn desLeinwebers und Flachshändlers zu Oberplan im Böhmerwald triebfrühzeitig die Natur zum Lernen, zum Sammeln und Ordnen; daßer aber dennoch nicht, wie etwa Goethe, zum Forscher berufen war,zeigt sich in der frühen Neigung, auszusuchen: glänzende Steineträgt er zusammen, nicht Steine jeder Art. So bleibt es beiStifter: er verehrt und bewundert die Natur — aber mit Aus-wahl. Er wird nie intim mit der Natur, so viel er sich auch mitihr beschäftigt; und ebenso bleibt sie ihm gegenüber reserviert. Diegeheimsten Reize zeigt sie wohl den Augen Mörikes, den glühendenSinnen Annettens — ihm doch immer nur die Oberfläche. Die prüftund beschreibt er dann aufs sorgfältigste. Er geht durch denBöhmerwald, den einzigen Forst Europas , der noch Stücke von echtem„Urwald" aufweist, doch mehr mit den Blicken des inspizierendenSchulrats, als mit Goethes anbetender oder Anastasius Grünsjubelnder Natursrömmigkeit; dann ruft er einen Baumstamm auf,einen Bergkrystall, einen Thalwinkel und überhört sie genau, undnichts darf ausgelassen werden. Mit den Jahren steigert sich diePedanterie. Er blieb in seinem Beruf: erst Hanslehrer in WienerAdelsfamilien, später (1850) Schulrat. Seine Frau war ihmin liebender Verehrung unbedingt ergeben; Kinder besaß er nicht,und eiue Pflegetochter verlor er durch Selbstmord: vielleicht hattedoch die liebevolle Strenge des Adoptivvaters den unerklürteuSchritt beschleunigt. Sein Verleger hängt mit bewundernderFreundschaft au ihm; das erste Werk, die „Studien" (1844—1850), hat sofort großen Erfolg, den die „Bunten Steine"(1.853) teilen. Was wunder, daß der von früh auf einseitig be-anlagte Mann immer stärker seine Eigenarten ausbildete? SeineArt, das Gespräch für sich allein zu monopolisieren, war zuletzt