Adalbcrt Stifter.
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so bekannt wie die gesellschaftlichen Monologe seines GegenpartsHebbel ; die unleidliche Breite, mit der er Bekannten einen neuenSchreibtisch beschrieb, machte ihn aber sast gefürchtet, währendHebbels Regen von Aphorismen gesucht ward. Er schreibt dannin seinen letzten Werken, dem „Nachsommer" (1857) und dem„Witiko" (1864—67), wie ein Lehrer, der Schülern diktiert und siedabei gleichzeitig an Geduld gewöhueu will: „Witiko ging eiuigeMale in dem Gemache hin und wieder. Dann setzte er sich aufeinen Stuhl. Dann trat er an das Fenster und sah auf den Orthinab." Haben wir da nicht den Meister Anton in Hebbels„Maria Magdalena " leibhastig vor uns, für den das Gebot: „DerHut gehört auf den dritten Nagel, nicht auf den. vierten" in einerReihe steht mit: „Du sollst Gott fürchten und lieben"? Die gleicheUnfähigkeit, vielmehr die gleiche trotzige Absicht, Wichtig und Un-wichtig nicht zu scheiden, beherrscht Stifters Weltanschauung nndseinen Stil; nnd macht er einmal einen Unterschied, so geschieht eszu Ungunsten des Wichtigen. Er macht sich daraus sogar mit denJahren eine Theorie zurecht. Hebbel hatte ihn als Blumeu- undKüfermaler verspottet. Darauf antwortet Stifter mit einer heftigenEntgegnung. Sie bringt seine Kuustlehre uicht ganz, aber einenwichtigen Teil:
Das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen des Ge-treide, das Wogen des Meeres, das Grünen der Erde, das Glänzen desHimmels, das Schimmern der Gestirne Halle ich sür groß. Das prächtigciuhcrziehende Gewitter, den Blitz, welcher Häuser spaltet, den Sturm, derdie Brandung treibt, den feuerspeienden Berg, das Erdbeben, welches Länderverschüttet, halte ich nicht für größer als obige Erscheinungen, ja ich haltesie für kleiner, weil sie uns Wirkungen viel höherer Gesetze sind. Siekommen auf einzelnen Stellen vor nnd sind die Ergebnisse einseitiger Ur-sachen . . . Ein ganzes Leben voll Gerechtigkeit, Einfachheit, Bezwingungseiner felbst, VerstandeSgemäßheit, Wirksamkeit in seinem Kreise, Bewunderungdes Schönen, verbunden mit einem heitern, gelassenen Sterben, halte ichsür groß; mächtige Bewegungen des Gemütes, furchtbar einherrollcndcnZorn, die Begier nach Rache, den entzündeten Geist, der nach Thätigkeit strebt,umreißt, ändert, zerstört, und in der Erregung oft das eigene Leben hin-wirft, halte ich nicht für größer, sondern sür kleiner. Wenn wir dieMenschheit in der Geschichte wie einen ruhigen Silberstroin einein großenewigen Ziele entgegengehen sehen, so empfinden wir das Erhabene, dasvorzugsweise Epische. Aber wie gewaltig und in großen Zügen auch dasTragische und Epische wirkeu, wie ausgezeichnete Hebel sie auch in derKunst sind, so sind es hauptsächlich doch immer die gewöhnlichen alltäglichenin Unzahl wiederkehrenden Handlungen der Menschen, in denen dieses Gesetz