216
1830—1840,
gehören, sollte wieder der Schönheit erobert werden. Deshalb be-tonen sie neben der Poesie so stark die Prosa: „Ob in Versen, öderin Prosa — das ist gleichgültig. Poesie ist alles, was ans derinnersten Natur der Menschheit dringt, und es scheint fast, als obDeutschland namentlich seine größeren Dichter gegenwärtig unterden Prosaisten zählt." Und hierher gehört denn auch, was ihnenam meisten verdacht wurde: die berüchtigte Formel von der „Eman-zipation des Fleisches". Mundt drückt es mit diesen geschmacklosenWorten aus! Gutzkow setzt es plump und taktlos in die Handlungseiner „Wally" um; gemeint ist doch nur, was Wienbarg „dasRecht des Sinnlichen gegen die Anmaßungen des Spiritualismus"nennt. Jene Sehnsucht nach dem Leben, jene Freude an der buntenFülle der Erscheinungen, die wir bei Ranke und Büchner, beiMörike und Stifter trafen, diktiert ihnen die Worte. Sie sind„lüstern auf alles, was Leben heißt", vom Sumpfblümchen biszum Jubelschrei der Volksfeste. „Deutschland war bisher nur dieUniversität von Europa , das Volk ein antiquarisches, ausgestrichenaus der Liste der Lebendigen und geschichtlich Fortstrebenden. . .Die Deutschen waren nur Zuschauer im Theater der Welt, aberhatten selbst weder Bühne noch Spieler." Das soll aufhören. DieBücher sollen, wie Hölderlin es forderte, leben. Deutschland solles lernen, zu handeln, und soll greifen auf Königs Tisch mit seinerfreien Hand. Und diese Männer, die Realpolitik forderten dreißigJahre vor Bismarck, die selbst die Weltlitteratur ausdrücklich zurück-weisen zu Guusten einer nationalen Dichtung — die durfte manals Vaterlandsfeinde verleumden!
Sie scheuten keine Konsequenz ihrer Lehre; sie erklärten anchGoethe für „überwunden", weil sein Jdal das ihre nicht mehr war.Mit Heller Stimme rief Wienbarg seinen Ruf in die Welt, TheodorMundt erläuterte ihn, Gutzkow machte ihn in scharsgeprägtcn Sätzenzum Gemeingut. Diese Theseu schlug der führende Geist des JungenDeutschlands au die Kirchenthür; waren sie wirklich Bekenntnisseeines Kirchenschänders, Staatsseindes und Vaterlandsverräters? Aberrevolutionär waren sie, wir wiederholen es, im Sinne der nochimmer herrschenden Kunstlehre. Sie predigten den Individualismusuud sahen die Tendenz als eine Notwendigkeit an. Diese Lehrenmachten Gutzkow auf ein Menschenalter zum Despoten der deutsche.»Litteratur. Seit Gottsched hat kein Schriftsteller solche Macht unterden Litteraten besessen wie er. Sein Lehrer Wolfgang Menzel