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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Karl Gichkow,

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daß erweniger Dichter ist als Gedicht". Freilich, Brentano wardoch wirklich Dichter, und Gutzkow ist es gar nicht. Ein Gedichtist er, diese tragische Persönlichkeit mit ihrer rastlosen Jagd nachdem litterarischen Glück, immer Anschluß suchend und immer ihuverfehlend, herrschbegierig und immer zum Dienen gezwungen, mitjedem seiner Werke zusriedeu und nie mit dem Erfolg, vor derZeit verbraucht und verbittert nach übertriebenen Triumphen. EiuDichter ist er nicht. Ihm fehlt jenes lyrische Element, ohne daskeine Poesie bestehen kann. Er fühlte es selbst und verteidigte sichimmer wieder gegen jenen Vorwurf aber selbst seine eifrigstenAnwälte haben ihm nicht ganz beitreten können, wenn er lyrischeEmpfindungen mit gefährlicher Absichtlichkeit ausweisen wollte.Gutzkow hat nirgends Lyrik, nirgends Stimmung, nirgends volleMitempsindung eines seelischen Zustandes. Wo er herzlich seinwill, wird er affektiert, wo er melancholisch sein will, wird er lar-moyant, und selbst die Leidenschastlichkeit, die ihm noch am bestenlag", verdirbt er durch phrasenhaften Aufputz. Wie der Heldin Laubes Jngeudroman muß er, sobald er ein Weib umarmthat, vor den Spiegel treten, um die Wirkung der Gruppe zu be-trachten. Gutzkow ist uic iu seinem Leben fünf Minuten alleingewesen; immer hat er das Publikum vor sich. Er redet es au,er schmeichelt ihm oder verhöhnt es, er kokettiert mit ihm aberer vergißt es nie, am wenigsten, wenn er es zu iguoriereu scheint.Er ist der absichtlichste unserer Autoren; nicht nur Heine, Lenansogar ist naiv neben ihm. Und in dieser Kälte fror er selbst, er-hitzte sich künstlich, suchte die Erwärmung des Kampfes. DieKampfesstimmung war noch immer diejenige, in der er sich amehesten lyrische Wärme vortäuschen konnte; unwillkürlich suchte ersie auf.

Karl Gutzkow (18111878) gehört zu den wenigen Ber-linern, die in der deutschen Litteratur eine hervorragende Stellungeingenommen haben. Er ging aus den bildungsärmsten Kreisenhervor, der Sohn eines prinzlichen Stallbeamten. Doch ward ihmGymnasialbesuch und Studium ermöglicht, uud mit Leidenschaftstürzte er sich auf die Bildung. Er hat sie sich in vollem Maßeangeeignet, hat aber ein gewisses Pruuken mit Kenntuisseu, dasleicht den frischen, nicht ererbten Besitz verrät, nie ganz abgelegt.Doch war ihm die Bildung nur Kampfmittel, nicht Selbstzweck.Er gewauu mit einer Preisschrift über die Schicksalsgötter (1830)