„Die Ritter vvm Geist". 229
war der eigentliche Grund für die Erweiterung des Romans. Daßdie „Ritter vom Geist" größere Wahrscheinlichkeit der Fabel hättenals die .Mahlverwandtschaften", wird hente Wohl niemand mehr be-haupten wollen. Aber in der Eroberung der Wirklichkeit, der ganze»Wirklichkeit, bedeuteten sie dennoch einen Fortschritt. Als Gntzkowüber den Theaterplatz in Weimar schritt, ballte er, erzählt man,die Fäuste gegen das Denkmal Goethes und Schillers nnd murmelte:„Neuubäudige Romane haben sie doch nicht geschrieben". Nein, dashaben sie nicht. Es hätte auch ihrer Kunstlehre widersprochen. Ineiner beschränkten Anzahl typischer Fälle, die eine unbegrenzte Zahlanderer widerspiegeln sollten, glaubten sie die genügende „Totalität"zu besitzen; denn gerade an dem Typischen, dem durch alle Varia-tionen hindurch Beharreudeu erfreute sich ihr Geist. Jetzt schwelgtder Geist der neuen Generation gerade in der Vorstellung derbreiten Fülle von Spielarten und Abarten. „Ich fand sehr eigen-tümliche, am Dasein merkwürdig erfreute Menschen," sagt in den„Rittern vom Geist" ein Jesuit von den Jesuiten . Das Wort giltfür die ganze Epoche.
Nun kommt jenes andere hinzu: der Roman ist ein socialerTendenzroman. Die Verderbtheit der oberen Kreise soll gezeigtwerden, und allerdings auch die Gesunkeuheit der unteren — dieseaber wird doch vorzugsweise als das Werk der Bösen vou obeudargestellt. Schou in der Tendenz liegt also eine gewisse Nötigung,auf Verbrechen und Verbrecher einzugehen, vorzugsweise auf solche,die das feste Gesüge der socialen Schichten in Verwirrung bringen:Ehebruch und Unterschiebung, Mord nnd betrügerischer Namens-tansch, gewaltsame Bereicherung und ungeheure Vergeudung. Überdas Bedürfnis hinaus hatte aber Sue die alte Verbrecherromautikwieder erweckt, teils aus dem unaustilgbaren keltogallischen Be-hagen am Grausigen und Lüsternen, teils weil seine tugendhaftenLeser gerade die ihnen unbekannten Quartiere und Spelunken kennenzu lernen brannten. Man ahmte das natürlich bei uns leiden-schaftlich nach, uud die Ritter- und Näuberromane der Spieß nndCramer erlebten eine starke, social angestrichene Nachblüte. Gntzkowhat sich hier maßvoll gehalten. In dem melodramatischen Würzenrealistischer Großstadtbilder durch malerische Bauditen und geheim-nisvolle Unthaten hat er die grellen Unmöglichkeiten vermieden, diesich sogar sein Nachfolger Spielhagen zuweileu gestattete. ?lbereine ganze Zahl von Figuren hat er doch von Sue überuommen: