Druckschrift 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
237
Einzelbild herunterladen
 
  

Fanny Lewnld,

237

war der eitle, weichliche Vielschreiber mit dem schön herausgear-beiteten Kopf (wir erinnern an Holteis Posen und Lenaus Kopf-haltung!) seiner Gattin fast so sehr untergeordnet wie Varnhagender Rahel; sie aber sah in ihm das ersehnte Ideal und hat das nieverlernt. Man hat viel über daszweiköpfige Tintentier" uud ihregegenseitigen Citierungen gesprochen; aber wenn sie prätentiöser auf-traten als das Ehepaar Mundt oder das Ehepaar Schückiug, sobedenke man doch auch/ daß der Roman ihres Lebens, so ganz im Stilder Zeitforderungen, ihnen darauf eiuen gewissen Anspruch gab: einegeistreiche Schriftstellerin, getaufte Jüdin, erobert nach unglücklicherLiebe zu einem Politiker, der eine schöne Dichterin vorzieht, einenästhetisch feingebildeten Mann, der sich ihr zu Liebe von seinerersten Gattin scheiden läßt, und lebt mit ihm fast 30 Jahre inglücklichster Gemeinschaft!

Viel von ihren Lebeuserfahrnngen ging in den RomanPrinzLouis Ferdinand" (1859) über, einen Beichtroman wie GutzkowsSeraphine", aber von ganz anderer Gestaltungskraft: der preußischeHeld wird von Nahel heimlich geliebt, in der er aber nnr die geist-reiche Prophetin und kluge Ratgeberin sieht; Accente bitterer Wahr-heit lassen sie über die Häßlichkeit klagen, die auch Fauuy Lewaldbesaß, bis der Greisin eine hohe Stirn, helle Augen und schnee-weiße, gedrehte Locken eine wirkungsvolle Altersschönheit verliehen.Bald begiuut dann eine unausgesetzte Produktion, technisch inbeständiger Arbeit fortschreitend bis zu ihrem letzten großen Roman(Die Familie Darner", 1887), sprachlich von Anfang an durchklare Bestimmtheit vor den geistreichen Zerflossenheiten ihrer männ-lichen Nebenbuhler hervorstechend. Kalt uud nüchtern bleibt sieimmer, und auch von den Nächsten spricht ihre Lebensgeschichte(18611862) bei aller Breite mit erkältender Objektivität, fern vonHermann Kurz ' gemütlicher Freude auch an den Schwächen seinerUmgebung. Nur etwa der Zauber des römischen Kultus mag selbstin ihr wärmere Töne hervorzubringen (Benedikt" 1874). Die lehr-hafte Richtung des Jungen Deutschland treibt sie auf die Spitze,immer ermahnend, selbst in ihren sauber gezeichneten biographischenPorträts immerüberlegen". Aber die Kraft, mit der sie ihreHerzenssache vertrat, die Heranbildung derneuen Frau" nicht durchästhetische Verhimmeluug, sondern durch praktische Schulung, dieEnergie, mit der sie ihre Prinzipien auch im Leben vertrat, habenihr eine Bedeutung geschaffen, die der bloß klugen Schriftstellerin