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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Bcrthold Aucrbach,

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Dann kam der Antisemitismus und brach dem Mann das Herz,der sich immer als Deutscher und als Jnde zugleich gefühlt hatteund fühlen durfte. Noch starb er als gefeierter Mann, und zweiMinister folgten dem Sarg im Auftrag ihrer Regierungen füreinen deutscheu Dichter eine fast unerhörte Auszeichnung. Seitdemaber ging man mit merkwürdiger Schnelligkeit über ihn zur Tages-ordnung über, uud jedermann glaubt heute, über deu Autor derSchwarzwälder Dorfgeschichten" hochmütig wegsehn zu dürfen.

Als sie erschienen (13431854), wirkten sie wie eine Offen-barung. Der Gegensatz zu den verstiegenen Adels- uud Künstler-romanen der Jungdeutschen that es nicht allein; wohl aber kamensie dem Verlangen der Zeit nach Einheit, nach Überwindung derZersplitterung entgegen. Jeremias Gotthelfs derb naturalistischeDarstellung vertiefte noch die Kluft zwischen denGebildeten" nnddemVolk"; Auerbachs stilisierte Art näherte die einfachen Leutedem Bildungsniveau seiner Leser. Vielleicht übertrieb er die sen-tenziöse Neigung, die iu den Bauern seiner Heimat unzweifelhaftherrscht, und vielleicht näherte er die Bildungskämpfe des Dorf-schulmeisters zu sehr den eigenen aber um so stärker trat demLeser die Empfindung der inneren Verwandtschaft entgegen undbeglückte ihn.

Deshalb wirkten auch seine Romane so viel weniger. Erbegann mitDenkcrromanen" in der Art der König, O. Müllerund so vieler anderer Specialisten (Spinoza ", 1837); er kam zngroßen Zeitromanen in der Manier Gutzkows (Auf der Höhe",1865;Das Landhaus am Rheiu", 1869). Die Technik ist besserals in denRittern vom Geist", der Stil unendlich reiner, die Ge-spräche sind geistreicher; aber in Fragen des Zeit- oder Lokalkoloritsbleibt er weit zurück. Die strenge Konzentratiou, die gläuzendeVergegenwärtigung in den besten Dorfgeschichten, vor allem demmeisterlichenDiethelm von Buchenberg", weicht einer behaglichenSpaziertechnik und einer ganz konventionellen Zeichnung hergebrachterTypen in unglücklicher Nachahmung desWilhelm Meister ". Schließ-lich machte noch der Erbfehler allerRomaue des Nebeneinander",die unübersehbare Personenfülle, seinen gnt gemeinten patiotischenChronikromanWaldfried" (1874) zu einem Labyrinth von Namenund Verwaudtschaftsverhältuissen, in dem sich der Autor selbst ver-irrt. Die Handlung ist immer groß uud einfach gedacht: Er-ziehungsromane im Sinne Goethes sind alle Romane Auerbachs.