258 1840—1850.
Gemeinschaft. Ein Jahr vorher hatte der Dithmarsche KlauSGroth (1819—1899) seinen „Quickborn" (1852) erscheinen lassen.Es waren zarte lyrische Klänge von großer Weichheit und Reinheitund Erzählungen, deren mild elegischer Humor wie ihre Form an dengrößten der deutschen Volkserzähler, Hebel, nicht zufällig erinnerten.Der lokalpatriotische Ton war stark angeschlagen, und das leiden-schaftliche Heimatsgefühl der Nordalbingier hörte mit Entzücken,wie das angeblich so unmusikalische Holstein eine echtere und reinereLyrik hervorbrachte, als seit langer Zeit vernommen war. Abermundartliche Lyrik hatte es immer gegeben und kleine Erzählungenim Dialekt waren nie ausgestorben. Reuter war kein Lyriker wieKlaus Groth ; ihm fehlte das feine Ohr für die Stimmen derNatur, die Harmonie der Wiedergabe, die Ruhe der formvollendendenAusarbeitung. Aber er gab, was die zartere Dichternatur nichtgeben konnte: eine Fülle lebendiger Gestalten, mit knappen Zügengreifbar hingestellt. Die Niederdeutschen waren lange Zeit von derLitteratur fast ausgeschlossen gewesen; nun sahen sie sich in ihrem eigenenDialekt „litteraturfähig" gemacht, sahen die Typen aus Stadt undLand, die sie selbst so Wohl kannten, neben die „Originale" und„interessanten Persönlichkeiten" der hochdeutschen Schriftsteller rücken.Dazu die leichte Art des Erzählens, die ihre eigene, behaglich breiteManier zum Muster nahm. Man war entzückt, und Jochem Päselmit seinen Gesellen und der Junker von Degen mit seinen Kame-raden eroberten das plattdeutsche Sprachgebiet für Reuter.
Zwar fehlte es nicht an Opposition. Zwischen Klaus Groth nud Fritz Reuter entbrannte ein von ihren Anhängern nichtohne Bitterkeit geführter Streit. Die „Gebildeten" standen zunächstbei dem Verfasser des Quickborn; so Friedrich Eggers (1819—1872)aus Rostock, der Kunsthistoriker und Ästhetiker, der selbst plattdeutschdichtete („Tremsen", herausgegeben von seinem Bruder 1875), deroriginelle Held von Wilbrandts humoristischer Novelle „Fridolinsheimliche Ehe", und besonders Karl Müllenhoff (1818—1884)aus Marne in Dithmarschen, der große Gelehrte, der mit gewaltignachschaffender wissenschaftlicher Phantasie die Entstehung der ger-manischen Nation aus dem Dunkel der Urzeit heraushob und jedennachhallenden Ton ursprünglich germanischer Art mit leidenschaft-lichem Anteil begrüßte. Der Kampf heftete sich zunächst an äußer-liche Fragen, oder die doch so schienen. Fritz Reuters Sprache warunrein; großenteils waren seine Sätze aus dem Hochdeutschen in