Friedrich Wilhelm Weber.
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hat, von fremden Mustern allzu abhängig. Der ungeheure Erfolgvon „Dreizehnlinden" (1878; 1893 die sechzigste Auflage!) zeugtmehr von dem Bedürfnis der katholischen Lesewelt nach einem„Klassiker", als von der Bedeutung des Werkes. Die Grundliniender Erzählung gab der Schwede Tegner (1782—1846) mit seinemberühmten, vielfach übersetzten „Frithjof" her — neben Byrons„Childe Harold" dem erfolgreichsten epischen Gedicht unseres Jahr-hunderts; auf die Ausführung wirkten vor allem jüngere Dichter ein:Scheffel mit „Ekkehard" (1862) und dem „Trompeter" (1854), aberauch Redwitz mit „Amaranth" (1849). Dabei besitzt das Gedicht dieMängel fast aller frei erfundenen Epen: eine zu geradlinige Ent-wickelung, der die reizvollen Krümmungen und Biegungen einesvon vielen Füßen gebahnten Pfades fehlen, wie sie etwa die aufalter Überlieferung ruheude Frithjofssage zeigt. Im Gegenständ-lichen ist das anmutige, altwcstfälische Kulturbild ein reizvollesZeugnis für Webers Dichteraligen; aber die Psychologie fehlt ganz.Es giebt nur Weiß und Schwarz, wie bei Fouqne; der böse Franke,der den guten Westfalen in die Verbannung zwingt, muß auch nochlächerlich feige sein. Und es giebt keine seelischen Entwickelungen:der trotzige Heide zieht einfach aus dem ererbten Glauben in denseiner Pflegeväter herüber, sobald sie ihm versichern, er sei schoninnerlich Christ geworden!
Daß man über den wohlklingenden Versen des westfälischenEpos die knorrige Originalität Annettens v. Droste vergaß, beweistwie sehr seine Landsleute die makellose Orthodoxie statt der künstle-rischen Selbständigkeit zum Maßstab nahmen. Sein zweites größeresWerk, „Goliath" (1892), blieb noch mehr von fremden Vorlagen ab-hängig; daß er dabei durch satirische Seitenblicke auf die Gegenwartzu modernisieren versucht, stört die Einheitlichkeit, ohne dem Ganzeninnere Neuheit zu geben.
Können wir somit in der Schwärmerei vieler Bewunderer für„Dreizehnlinden" nur die liebenswürdige Übertreibung religiöser,politischer und landschaftlicher Verwandtschaft sehen, so bleibt unsdoch die Gestalt eines Dichters ehrwürdig, der in unsere zerklüfteteZeit die starke Geschlossenheit einer mittelalterlichen Seele und denFeuergeist früherer Epochen brachte. In dieser Natur wurzeln auchseine Schwächen: auch die Legendendichter des Mittelalters kennennur Schwarz und Weiß, halten wenig auf Originalität, und daam wenigsten, wo sie erfinden; auch unsere mittelhochdeutschen Epiker