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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1840-1850.

speares Dramen bleibt die Genossenschaft der Schauspieler: derAutor verdichtete nur die künstlerischen Anregungen zum bewußtenKunstwerk. Uud selbst bei der Aufführung noch sind die Mit-wirkenden und im idealen Sinne auch die Znhörer Mitschöpferdes Werkes.

Die breiteste Gemeinschaft ist die des Volkes. Als Gesamt-werk bringt dies den Mythos hervor. Deshalb ist das Werk desauf breitester nationaler Basis stehenden Dichters zu bezeichnen alsder aus dem klarsten menschlichen Bewußtsein gerechtfertigte, derAnschauung des immer gegenwärtigen Lebens entsprechend neu er-fundene und im Drama zur verständlichsten Darstellung gebrachteMythos". Die demgegenwärtigen Leben" entsprechende Neuerfin-dung ist notwendig, damit die Gesamtheit des Volkes aus ihrenjetzigen Empfindungen heraus das Drama mitfühlen, miterlebenund auf diese Weise miterschaffen kann.

Romantisch wie diese Überschätzung der unbewußten Dichter-thätigkeit des Volkes ist auch Wagners Liebhaberei sür überkühnsymmetrische Anordnungen, die Siegfried und Christus oder wiederJesus und Apollon oder gar Buddha und Luther fast mit derKühnheit eines Novalis zu Gruppen arrangiert; dann die an derOberfläche der Worte dilettantisch herumspicleudeu Etymologien;endlich aber auch weithin leuchtende Aphorismen antithetischer Natur,die imAthenäum" hätten stehen mögen:Das Leben ist die un-bewußte Notwendigkeit, die Kunst die erkannte". Aber ganz un-romantisch ist sein energisches Herausarbeiten der Technik. Je mehrer sich in seine Centralaufgabe versenkte, ein Nationaltheater alsMittelpunkt der künstlerischen Volkserziehung zu organisieren, destostärker ward anch seine Knnstlehre vom romantischen Spiel zu eiuerpraktischen Anwendung folgerichtiger Sätze übergeführt. Uud inso-fern bedeutet seine Annäherung an die Romantik doch auch eineÜberwindung ihrer Formlosigkeit.

Auch hier gilt es ihm, das Einzelne aus seiner Isolierung zubefreien. Die einzelne Melodie ist nur Lebensäußerung einesMoments; sie wird eingegliedert in dieunendliche Melodie" desGesamtwerks, das durch Vcrspinneu und Verweben der Leitmotivezur übersichtlichen Einheitlichkeit gebracht wird. Aber auch die Ge-samtmelodie des einzelnen Mnsikdramas ist organisch hervorgegangenaus dermütterlichen Urmelodie", die das Volk selbst mit seinerSprache schuf. Der Komponist hat nnrden ihm zn Gebote