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1840—18S0.
bestens ein Buddha sein: die vollendete Inkarnation eines künstlerischenPrinzips. Uns scheint auch hier das Leben interessanter als dieAbstraktion, und vor allem wahrer. Man wandelt nicht ungestraftunter Palmen, und wer jahrzehntelang durch Not und Versuchungheldenhaft die Fahne seines Ideals hochhielt, den mag wohl dasBewußtsein der Macht am Schluß mit einer Lust erfüllen, dielange begehrte Vernichtung aller Feinde, aller Gleichgültigen nochselbst zu erreichen. Auch diese Dissonanzen gehören in die Urmelodieseiner Persönlichkeit und seines Lebens hinein.
Welche Bedeutung starken Jahrgängen zukommt, oder, deutlicherausgedrückt, wie mächtig die Tendenzen der Zeit selbst auf weit aus-einander liegende Individualitäten wirken, das wird klar, wenn wirneben Richard Wagner Friedrich Hebbel (1813—1863) stellen.Sie waren einander entschieden antipathisch: Wagner hat Hebbels „Nibelungen" verhöhnt, nnd Hebbel fand Wagners Theorie vonMythus und Oper „abgeschmackt". Für des Musikers glühendesVerlangen nach voll instrumentierter Dekoration auch des äußereuLebens hätte der Dichter so wenig Verständnis gehabt wie derKomponist für das leidenschaftlich zehrende Grübeln des großenAvhoristikers. Wagner war der geborene Revolutiouär, weun ersich auch mit den Jahren immer mehr konservativer Denkart an-paßte; Hebbel war ein ausgesprochener Konservativer, der an denAutoritäten hing und die Meuge verachtete. Und dennoch — wieviel Übereinstimmungen zwingt die Zeit diesen Antipoden auf! Inbeider Knnsttheorie nimmt der Mythns eine centrale Stellung ein;beide schaffen aus der Doktrin heraus uud legen auf die Form-gebung ein sehr großes Gewicht, während die Anschauung zurück-tritt. Beide fühlen das Bedürfnis, das einzelne Kunstwerk ausseiner Jsoliernng zu befreien uud eine „unendliche Melodie" durchden ganzen Cyklus hindurchzuführen; beide sind Dramatiker, denendas Lyrische leicht, das Epische fast immer mißlingt. Und in derGesamthaltnng der Persönlichkeit bildet bei beiden den festen Kernjener geniale Egoismus, der um seiner Aufgabe willen deu Künstlerzu allem berechtigt glaubt und keine Pflichten anerkennt, die dieserzuwiderlaufen: sich zum Schöpfer großer Werke zu bilden. EineArt geistiger Hofhaltung, ein heftiges Ausnutzen der Freunde (dasfreilich bei Hebbel mehr geistiger, bei Waguer mehr materieller Artist); eiue starke Verachtung fremder Nichtuugen geht damit Handin Hand. Wagner ist unmittelbarer von patriotischen Absichten