Druckschrift 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
282
Einzelbild herunterladen
 
  

282

18401830.

Wie bei den Romantikern empfängt auch bei Hebbel die Pro-duktion volle Beleuchtung nur aus seiner Kunstlehre, weil sie mitdieser untrennbar verwachsen ist. Hebbel erscheint bei oberflächlicherBetrachtung als ein Künstler von durchaus berechnender, reflektierterArt; und sicher ist er von eigentlich naiven Dichtergemütern wieetwa Jnstinns Kerner nnd Ednard Mörike gründlich verschieden.Wie hätte auch in der dumpfen Treibhausluft seiner Jugend, diealte höhere» Regungen in den engsten Raum drängte und dadurchdie Bruthitze der Entwickelung noch steigerte, eine wirkliche Unbe-fangenheit aufkommen können! Aber schon seine äußere Erscheinungzeigt einen Mann voll bewegten Innenlebens, keinen kalten Rechnerwie Müllner oder Gutzkow :

Hebbel war schlank und ziemlich hoch von Gestalt; sein Gliederbau schienauf Unkosten des Kopfes zu zart ausgefallen und nur dazu da, diesen Kopfzu tragen: unter der hohen, wie in durchsichtigem Marmor gemeißelten Stirnleuchteten die blauen Augen, mild bei ruDgem Gespräche, bei erregtemfeuchteten sie sich dunkel glänzend an; Nase nnd Mund deuteten auf Sinn-lichkeit; die etwas bleichen, zart geröteten Wangen gaben dem durch einstarkes Kinn männlich abgeschlossenen Gesichte eine gewisse Breite, und wennman ihn ansah, hatte man stets den Eindruck, ins Helle zu schauen. Erhatte eine seelenvolle Stimme, die sich, je nach dem Gehalt seiner Rede, vomGefälligen bis zum Gewaltigen steigern konnte.

Den zn schweren Kopf kennen wir schon es ist die typischeStirn der Schriftsteller dieser Epoche; die sinnlichen Lippen teilter mit Heine und mit Reuter; aber die Augeu und die Stimme,diese am meisten seelischen Teile der Erscheinung, deuten über dieZeitgenossen hinaus in die Zeit der tiefen Seher! Und nunhören wir gar, wie Emil Kuh seiue Haltung beim Dichten schildert:

Den produzierenden Hebbel erblicken, war das Bild eines Traum-wandelnden sehen. Sein Anblick hatte alsdann den leidenden Ausdruckdes Beseligten. Er neigte sein Hanpt tief herab, wie eine dem warmenSommerregen hingegebene Pflanze. Die Arme vor der Brust ineinander-gelegt, hin und wieder das Lächeln oder die Traner des schauenden Menschenum den Muud, so schritt er durch die Straßeu Wiens , durch das Gehölzdes Praters oder durch die Laubgänge des Augartens. Sogar das Teufels-wetter des Oktobers konnte ihm nichts anhaben, wenn er im Bildersegenuntergetaucht war. Das Gewühl nnd Getöse der Großstadt störte denvisionären Spaziergänger niemals, nnd die berüchtigte Windsbraut Wiens,wie sie auch in den Baumkronen der gewaltigen PraterstttmMe wühlte undknirschte, weckte ihn nicht aus seiner Wclwergessenheit ans. Sprach ihnaber jemand an, dann entfuhr ihm der heftigste Laut der Abwehr. Manch-mal überhörte er die Anrede und fchwankic, leise singend, vorbei.