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18S0—1860,
schichte der Erzählungen aufklärte. Von dem eigenen Vater knappgehalten, um seinen Ruhm und seine pekuniäre Lage gleich ängst-lich besorgt, hatte Meißner sich in rascher Schleuderarbeit schnellverausgabt und dann von seinem Freund Franz Hedrich sich dieStoffe, bald auch fast die ganze Bearbeitung liefern lassen. Hedrichgab den Inhalt, Meißner den Namen her — ein für beide Teilegleich unrühmliches Verfahren, durch dessen verräterisches Aufdeckender ungetreue Mitarbeiter sich erst recht mit Schmach bedeckte.Meißner beging in Verzweiflung einen Selbstmordversuch und starbunter dem vollen Eindruck der traurigen Enthüllungen, an derenRichtigkeit wohl aber kaum zu zweifeln ist; für die Urteilsfähigkeitvon Publikum und Kritik jener Zeit aber liefert die tragische Episodeein belehrendes Beispiel.
Nur natürlich war es, daß der Münchner DichterkreisEpigonen hervorbrachte. Hermann Lingg (geboren 1820) vonLindau am Bodeusee, Sohn eines Arztes und selbst Mediziner wieMeißner, ward von Geibel „entdeckt", der die erste Sammlung seinerGedichte (1853) einführte und sich des schweigsamen, zurückgezogenenMannes überhaupt eifrig annahm. Was an Linggs Art seinereigenen am nächsten verwandt war, das ermunterte er, und so schufer dem Träumer, der gern in dunkler Vorzeit umherschweifte, denRuf eines Meisters „historischer Lyrik" — worunter man abernicht verstand, was bei Storm wohl so heißen kann, sondern ein-fach die epigonenhafte Balladendichtung der Nachahmer Platensnnd (seltener) Uhlands. Aber diesem eckig gereimten Bilderbuchvon Pansanias und Kleonice, Mahomed, Timur und Lepanto, Jnesde Castro und Andronikus fehlt es fo ganz an Atmosphäre wie derDüsseldorfer Anekdotenmalerei. Wohl zeigt die zweite Gedicht-sammlung (1868) einen entschiedenen Fortschritt in der Behandlungdieser Stoffe: statt der pompösen Aufreihuug öfters eine Auflösungin lyrische Stimmung („Kam" „Niobe" „Mandane"), aber danebenbegegnen doch so völlig mißlungene Stücke wie der komisch wirkende„Cartesius ":
Cartesius ruft: „Ich denke. ."Der andre schnell: „Ich binGetroffen — Rene, schwenke,Sonst sind wir alle hin".
Nun ließ sich Lingg vollends verleiten, ein großes „historischesEpos" zu versuchen: „Die Völkerwanderung" (1866—1868).