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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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Scheffels Persönlichkeit.

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Traum eines Eheglücks führte zu rascher Trennung. Dann (seit1872) in Radolfszell am Bodensee eine weltfremde, leicht ver-bauernde Existenz, zwischen die Erziehung des Sohnes und ärger-liche Prozesse geteilt. Die allgemeine Feier seines 50. Geburts-tags machte ihn weniger froh über die Anerkenuung als verstimmtüber die Last der Antworten. Er war Deutschlands gelcsensterAutor geworden; bis zu seinem Tode hatte derEkkehard" etwa90,Gaudeamus" etwa 50, derTrompeter" etwa 140 Ausgabenund Auflagen erlebt; man berechnete für seine sämtlichen Werke(eine Gesamtausgabe ist nie erschienen) 500 000 Exemplare:aufje 100 Deutsche entfüllt ein Band Scheffel". Seitdem hat der Absatzder Hauptwerke wohl abgenommen; aber gegenwärtig sollenTrom-peter" undEkkehard" allein es doch schon auf jene halbe Milliongebracht haben. Aber vergebens sucht man nach einem Wort der Freudeüber so viel Wirkung, der Dankbarkeit, wie Geibel und Freiligrathsie ihrem Volke ausgesprochen haben. Verdrossen und verärgert,nicht in tragischer Größe wie Otto Ludwig , nicht einmal von dendüsteren Fittichen eines melancholischen Geschicks überschattet wieHölderlin und Lenau , ist er bald uach seinem 60. Geburtstage,den sein altes Heidelberg noch mit einer Beleuchtung der Schloß-ruine feierte, (9. April 1886) gestorben. Das Festlied zum Jubi-läum unserer ältesten, schönsten und volkstümlichsten Hochschulewar seit langer Zeit die erste rechte Dichtergabe des einst so Ver-schwenderischen gewesen uud blieb die letzte; die Feier selbst hat ernicht mehr erlebt.

Tragik, wir wiederholen es, finden wir hier nur eben im Wesendes ManneI selbst, in seiner Nervosität, der die Gestalten derspäteren Pläne in immer neuer Umformung zerrannen, aber auchund vor allein in jener Unfähigkeit, sich ganz hinzugeben. So ^.wenig wie bei Keller eine herzerwärmende Lebensfreundschaft trotzvielen auwärmendcr Künstlerbrüdcrschaften; in dem Verhältnis zurKritik der nämliche krittliche verdrießlich-humorlose Ton wie etwabei Hamerling ; selbst in politischen Dingen, so schöne Verse er auchdarüber (und gewiß aus vollem Herzen) geschrieben hat, oft undzumal in denBriefen an Schweizer Freunde", die Frey (1898)herausgegeben hat, ein kleinlich gereizter Ton, der Weltsragen ledig- ^lich vom Standpunkt der persönlichen Bequemlichkeit gelöst seheumochte. Immerfort ein ärgerlichesLaßt mich doch in Ruhe!"laßt mich doch in Ruhe, Freunde, Ruhm, Baterland, Aufgaben;