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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18501860.

gar inAspasia " fehlt es nicht an lüsternen oder bedenklichen Stellen.Die krankhafte Begier eines dem Leben halb abgestorbenen Krankenhat so gut wie das Bedürfnis nach grellen Effekten Anteil andieser unschönen Eigenheit der Dichtung Hamerlings; auch unterdiesem Gesichtspunkt ist der oft ausgesprochene Vergleich mit Makart berechtigt, dessen Farben so glühend, dessen sinnliches Schönheits-bedürfnis so lebhast und dessen Technik so mangelhast war wieHamerlings. Aber wenn diese Sinnlichkeit an den anderen Ortennur verletzt und ärgert, hat sie imKönig von Sion" nicht nur histo-rische, sondern vor allem auch poetische Berechtigung: die Reaktionder zurückgedrängten Triebe, der Umschlag aus zurückgehaltener inzügellos entfesselte Fleischeslust mußte hier geschildert werden. ObHamerling, wenn er auch den Tenfel zur Wollust malte, diese nichtdoch mit zu viel Behagen gemalt hat, das stehe dahin: der bacchan-tische Tanz der Verhungernden aber am Schluß ^der Dichtungist, rein sachlich betrachtet, wohl das Vollendetste, was Hamerlinggelungen.

Völlig mußte dagegen Hamerlings Begabung versagen, als ersich mitDanton uud Robes Pierre" (1870) auf das dramatischeGebiet wagte. Diese ganz zu lehrhaftem Vortrag oder zu breiterSchilderung angelegte Natur war der Entsagung unfähig, die dasDrama verlangt. Unter den vielen schlimmen Nevolutionsdramenist dies wohl das schlimmste. Die Naivetät, mit der sich sämtlicheFiguren unablässig selbst exponieren, wird nur von der Naivetätübertroffen, mit der plötzlich ohne jede innere oder äußere Be-rechtigung die realistische Prosa in bombastische Verse überläuftund umgekehrt.Meine Natur hat etwas Metallisches: scharf, ge-diegen, schneidig und kalt", sagt St. Just ; Nobespierre aber hälteinen Monolog im schönsten Pomp Grabbes. Sncht man nacheinem Paradigma für Stillosigkeit hier ist es.

Es folgen zwei weitere dramatische Dilettantenstückchen. Daspolitische ScherzspielTeut" (1872) offenbart bei aller wohl-meinenden Absicht eine so sauersüßeReichsverdrossenheit", in seinemschulmeisterlich-trivialen Ton solche Unfähigkeit, sich dem Großenund Hohen in der nenen Reichsgründung hinzugeben, daß derPatriot diese hochmütig-taktlose Feier des größten Ereignisses inunserer neueren Geschichte nur schmerzlich empfinden kann. DieKantateDie sieben Todsünden " (1872) stellt die zerstörende Machtder bösen Begierden und den unvertilgbaren, schließlich doch sieg-