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18S0-1860.
das Publikum schon wohl vorbereitet, das jene älteren Meister ersthatten erziehen müssen. — Wir verdanken so gerade dieser Zeit von1850—1860 eine unschätzbare Bereicherung des Gesamtbesitzes anin bestem Sinne volkstümlichen Darstellungen aus den Wissen-schaften; wir verdanken ihr eine neue Belebung der Beziehungenzwischen der Gesamtheit der Lehrenden und der Gesamtheit derLernenden. Diese großen Gelehrten wollten keine Aristokraten desStudierzimmers sein; sie „mischten sich unter das Volk", sie hinter-ließen ausnahmslos populär gehaltene Arbeiten neben streng sach-lichen, ja ein großer Arzt, Adolf Kußmaul (geb. 1822), ver-schmähte es nicht, mit Eichrodt in übermütigen Reimspielen dieparodistische Kunst des „IZortus äsliois.rum" mitzumachen, währendsein berühmter Kollege Max v. Pettenkofer (geb. 1818) sichwenigstens in „Chemischen Sonetten" (1844—1845) versuchteund der hervorragende Chirurg Richard v. Volkmann (1830—1889) als Richard Leander Märchen und Lieder dichtete. Abervor allem schenkten diese Männer der Poesie wieder Vorbilder derThatkraft, des siegreichen Mnts, wie sie auf keinem anderen Gebiet derÖffentlichkeit damals zu erblicken waren. Und sie gaben der welt-flüchtigen Litteratur wieder einen Hinweis auf den Znsammenhangmit dem Volk. Von hier aus erwuchs zuerst eine neue Kritik, dieabgestorbene Richtnngen abwehrte, neuen den Weg bahnen half; sieführte zu einer neuen, kritisch gerichteten, vielfach der jungdeutschenSchule verwandten Agitationslitteratur; und dies zeitigte schließlichauch, langsam, sehr langsam, die neue realistische Litteratur derGegenwart, die die uralte Verwandtschaft von Poesie und Wissen-schaft verheißungsvoll erneut.
Und so beginnt jetzt, längst vorbereitet, langsam das goldeneZeitalter der litterarischen Kritik. Lessing und Herder, Goethe undSchiller, vielleicht auch die Brüder Schlegel waren größere Kritiker,als diese Zeit besitzt; Müllner und Menzel, Heine und Gutzkow habeneine stärkere kritische Diktatur ausgeübt. Aber niemals sah Deutsch-land so viele starke Kritiker zusammen. Noch wirkten Menzel undGutzkow , die Todfeiude, aber freilich war ihre Kraft gebrochen;Gubitz, Rötscher, Fr. Th. Bischer, Robert Prutz, Gustav Freytag ,Julian Schmidt standen in hohem Ansehen. Nun aber trat eineganze Phalanx neuer Kritiker auf. Die „Wiener Kritik" und die„Berliner Kritik" wurden auf neue Füße gestellt. Natürlich warendie Tendenzen nicht überall die gleichen. Neben feinsinnigen Vor-