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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Karl Frenzel und die Berliner Kritik.

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gewandte Begründer derGegenwart " (seit 1872) und der bestenKonkurrentin derDeutschen Rundschau":Nord und Süd" (1878)doch iu seine neue Glanzzeit mehr einzubringen, als bloß eine rascheFeder und eine ungenierte Frivolität. Er hatte an der PariserKritik neben manchenMätzchen" auch ihr Interesse für konkreteDinge studiert, und seineDramaturgischen Blätter" (1875) undGesammelten Aufsätze" ^1875) haben gerade dadurch eine dauerndeBedeutung gewonnen. Die Späße, mit denen der Lieblingsjourna-list von Berlin (Harmlose Briefe eines deutschen Kleinstädters"18701871,Nüchterne Briefe aus Bayreuth " 1876,ÜberflüssigeBriefe an eine Freundin" 1877) Richard Wagner oder eine be-liebige Eintagsfliege, das Wichtigste und Unbedeutendste umtanzte,sind laugst vergessen; die gescheiten Studien über Victor Hugos Wortgebrauch und Daniel Spitzers Witztechnik aber oder die aus-gezeichneten Kritiken über NuerbachsWaldfried" und Heyses Kinder der Welt" können einer empirischen Poetik mehr brauch-bare Materialien liefern als ein ganzer Haufen spekulativ ästhe-tischer Wälzer. Gefährlich aber wirkte Lindau als Dichter.Die oberflächliche Mache seiner Schauspiele und Lustspiele (Mariaund Magdalena" 1872,Ein Erfolg" 1873,Johannistrieb" 1879,Gräfin Leu" 1881,Die beiden Leonoren" 1888,Der Andere" 1893),die flache Geschicklichkeit seiner meist durch irgend einen aktuellen Bezuggewürzten Romane und Novellen (Herr und Fran Bewer" 1882,Der Zug nach dem Westen" 1886,Arme Mädchen" 1887,Spitzen"1888) mundete der jedem ernsteren Kunstgenuß entfremdeten undeiner festen Tradition entbehrenden Genußwelt der jüngsten Groß-stadt nur zu gut. Seine Erfolge machten es möglich, daß als Kritikerund als Theaterdichter ihn Oskar Blumenthal (geb. 1852) ausBerlin beerbeu konnte Raabes Pinnemann in Person, dergrinsende, witzelnde Verächter jedes sittlichen Ernstes, der mit denClownsprüngen seines, koste es was es wolle, witzigen Dialogs,mit der Hohlheit seiner Motive und der Roheit seiner Charakter-zeichnung die deutsche Bühne unter Kotzebue herabdrückte. Wo ernur um des Witzes willen Verse machte oder zugespitzte Einfälle an-schüttete (Allerhand Ungezogenheiten" 1871,Vom Hundertsten insTausendste" 1876), konnte er ergötzlich sein; wo er diesen etwaseleganteren Saphiriaden den Schein eines kritischen oder dramatischenZnsammenhangs geben will, wirkt er widerlicher als Saphir selbst,der sich doch wenigstens in engere Kreise einschloß. Ungleich