Marie v. Ebner als Künstlerin.
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ich höre sein jammervoll klingendes Lachen . ." Sie sieht das, siehört das, weil sie den Menschen von innen her kennt. Daher sindihre Gestalten so geschlossen, fest, einheitlich, überzeugend; daherhaben aber die besten auch den großen Stil, der den Figuren dessonst vielfach verwandten Heyse fehlt. Volksgestalten wie Boöenaund Jakob Szela halten mit Jeremias Gotthelfs seltsamer MagdElsi oder Jmmermanns Hofschulzcn deu Vergleich aus; seine Typenaus der Kulturwelt wie Edith und Lore (im „Schädlichen") hebensich zu symbolischer Bedeutung. Und mit Recht darf sie deshalbihre Kunst der realistischen zur Seite stellen, gerade weil ihrneben Fleiß und Verstand die Phantasie ein unentbehrlicher Mit-schöpser ist: „Ich erhebe denselben Anspruch auf treue Wiedergabeder Natur, wie sie, wenn es mir gelingt, überzeugend darzustellen,was ich allein gesehen habe: einen edlen Zug im Angesicht desVerworfenen, einen Blitz des Geistes im Auge des Einfältigen."Sie sieht eben die Menschen wohl mit scharfem, klarem Blick
— aber doch immer mit dem Auge der Liebe. Versöhnend weiltein sanfter Hnmor ans mancher Schilderung, häufiger noch einpoetischer Abglanz ihrer schönen Seele — man verzeihe das vielmißbrauchte Wort, wo es unentbehrlich ist. Was man bei demberühmten Wiener Schauspieler Sonnenthal seine „innere Sonne"genannt hat, das verklärt uud erwärmt auch bei ihr jedesWort, das zu den Armen und Verlassenen gesprochen wird. WieWilhelm Raabe im „Schüdderump ", hat sie im „Verbot" dasgrausige Elend eines ländlichen Armenhauses geschildert: und doch
— bei ihr kann man auch hier die Lust atmen, während man beiNaabe erstickt. Denn selbst hier sühlt mau den Pulsschlag einesliebevollen Herzens, wo der Humorist von Beruf sich gewaltsam zuGrimassen zwingt. Und diese bei ihr allwesende Macht der Güteläßt nirgends „öde Stellen", wie sie bei Heyse eintreten, sobaldetwas ihn weniger interssiert; Anekdoten („Der Muff", „DieKapitalistinnen") werden ergreifende Proben ihrer gütigen Menschen-kenntnis, und nie ist der Aphorismus und die Parabel („Parabeln,Märchen und Gedichte", 1892) von kühler, menschenverachtenderAbstraktion weiter entfernt geblieben als bei ihr.
Stil hat eben auch ihre Schriftstellerei. Der warme Anteil,der sich so gern in direkte Lehrhastigkeit umsetzt, gehört so gut da-zu wie die ruhige klare Darstellung. Sie verliert nie das aus demAuge, was ihr das Höchste ist. Ihre Weltbctrachtung in den