Hehses Novellendichtung.
613
lösungen und Umgestaltungen verweilen. Dann wird die Novellezuweilen eine Reihe schön gemeißelter Skulpturen, wie wir sie amParthenon bewundern; aber dazwischen stehen kalt und leer trennendePfeiler und unterbrechen die Erzählung durch öde Stellen. Nur diekürzesten Novellen Heyses sind ganz frei von diesem Mangel; dennihm fehlt die liebevoll ausmalende Sorgfalt, die in „Mozarts Reisenach Prag" oder in Gottfried Kellers — von Heyse höchlich be-wunderten — Novellen kein Stellchen unbelebt läßt. Auch kanndie Auflösung der Gruppe mißlingen, und die statuarische Ruheweicht zu plötzlich einem wilden Ballett, wie in der „Villa Fal-conicri". Oder endlich, der häufigste und bedenklichste Fehler: derDichter vergißt, daß die äußere Erscheinung nur Schlüssel uudSymbol der ganzen Persönlichkeit sein soll: er führt uns Gestenvor, hinter denen wir vergeblich warmes Leben, Psychologie, Zu-sammenhang im höheren Sinne suchen; so in mehreren von den„Troubadournovellen". Heyses psychologische Kunst steht mit seinempsychologischen Interesse nicht auf gleicher Stufe; allzu einfach er-klärt er gern selbst den wunderbarsten Ausbruch der Leidenschaftniit Instinkt, Naturanlage, Blutmischung und versäumt, uns dasRätsel zu erklären, wie so elementare Kräfte lange spurlos ver-borgen bleiben konnten (so etwa im „Mädchen von Treppi"). Dieäußere Harmonie der Erscheinung tritt zu diesem unrhythmischplötzlichen Erdbeben der inneren Natur dann leicht in einen ver-letzenden Gegensatz. Zuletzt ist dem allzu unermüdlichen Novel-listen in Geschichten wie „Melusine" i'189S) oder „Der Dichterund sein Kind" fast nur die Silhouette geblieben: ein Schattenspielrhythmischer Bewegungen mit hastigem Schluß, nur noch ein Echovon der feinen Kunst, die uns Meisterwerke wie „Zwei Gefangene",„Die Stickerin von Treviso", „Unvergeßliche Worte" und so vieleandere schenkte. Die Gaben stürzten ihm zu leicht aus der Hand. Erkann nichts unvollendet lassen — das ist sein Cannae nnd sein Capna.Die Zahl der im besten Sinne vollkommenen Arbeiten bleibt dochbewundernswürdig, und staunenswert der durchgebildete Stil diesermehr denn „hundert neuen Novellen". Zuletzt ward der Stil zurManier; aber anch da dürfen wir oft sagen, was er für Bernini sagt:
Hätt' ein Größerer hier sich so groß aus dem Handel gezogen,Mit so guter Manier hier ein Stilist uns ergötzt?
Unaufhörlich zu schaffen ist ihm Lebensbedürfnis. Denn erkennt kein anderes oder doch kein höheres Glück, als jene „Fülle