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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1850-1860,

der antiker Stoff und modernes Empfinden nie zur Deckung ge-langen. Erlebt war dies Drama nicht. Aber erlebt ist die großeSehnsucht des Apelles von Palmyra . Der Dichter, der sich so oftund so leidenschaftlich in fremde Seelen hineingelebt hatte, der denpolitischen Agitator und den scherzenden Lustspieldichter, den grü-belnden Denker und den praktischen Pädagogen, der FriedrichNietzsche und Johanna Ambrosius in seiner eigenen Brust eineganze Existenz hatte durchleben lassen er kennt und verstehtdiese Sehnsucht, nicht zu sterben, um mit gesammelter Kraft immerNeues, Höheres zu erleben. Aber er weiß auch, daß das wiederein übermenschliches Verlangen ist. Und so wird Apelles , derKünstler, der Feldherr, der glücklich Einsame, in jahrhundertlangemLeben dazu erzogen, selbst den Tod zn begehren. Aber nicht wieAhasver aus Müdigkeit allein fordert er ihn er begehrt ihn,um noch höher steigen zn können. Diese eine, zufällige Form desDaseins bietet uur begrenzte Möglichkeit der Vervollkommnung.Das Leben formt sich ewig neu; wer in sich verharren will, dermußim Wechsel blühen". Jene Franengestalt, die in verschie-denen Gewandungen dem Meister von Palmyra beigegeben wird,Zoe, Phoebe, Persida, zuletzt, nun ein lieblicher Jüngling, Nymphas sie lebt die Fülle der Möglichkeiten durch, Märtyrerin undCourtisane, strenge Christin und leichtherziger Heide; Apelles bleibt,was er war. Da er das erkennt, gelüstet es anch ihn, wie denHellmuth Adler derOsterinsel ", nachneuen Menschen". Und erstirbt gern, um sich wandeln zu können.

Geistreich wird die tiefsinnige Fabel durchgeführt; nur daßgegen Ende (wie in dem großen Monolog im zweiten Auftritt desfünften Aktes) der Held allzu deutlich die Meinung des Dramasvorträgt. Vorher aber wie poetisch, an Naimnnds Allegoriengemahnend, ist die Figur des Pausanias, des Todesgottes alsmilden Sorgenlösers; wie weich uud wohlklingend ist die Klagedes nicht Alternden:

So rinnt die Zeit hinweg; in Tropfen, langsamZuletzt ein Meer, das uns vom Einstmals trennt.

Zu Viel Leben ist auch in den Nebenfiguren, wie Longinus , alsdaß mau diesIdeendrama" verwerfen dürfte, weil es nichtrealistisch sei. Eine große Aufgabe ist fast ganz gelöst; in strengerFolge und doch ohne schematische Dürre zieht das Wunder an unsvorbei. Lyrische Weichheit schließt dramatische Effekte von packender