Wilbrandts zweite Periode.
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„Hildegard Mahlmann" (1897) spinnt sich um die Gestalt der vonHerman Grimm so überschwenglich gefeierten „Naturdichterin"Johanna Ambrosius , „Die Rothenburger" (1895) benutzen diewunderbaren Heilerfolge des berühmten Orthopäden Hessing vonGöggingen. Und immer steht er zu seinen Gestalten, wie Spielhagen,in einem persönlichen Verhältnis. Wenn das Ziel erreicht ist — wiejauchzt der Dichter mit seinen Kindern! Nichts schildert er lieber, nichtsreizender, als das stille verschämte Lachen des geheilten Kranken —am schönsten in deu „Nothenburgern"; wie denn das Lachen inallen Tonarten dem leidenschaftlichen Musikfreund die liebste Musikist. Der Arzt in der „Osterinsel " lacht dröhnend, vulkanisch; aberleise und zart erklingt zuweilen das Lachen selbst der Elemente:
Den goldenen Tag begrub die laue Nacht.Es kam ein Tust vom warmen Land gezogen,Leis klang das Meer, wie wer im Schlafe lacht , , .
Nur das oberflächliche rohe Lachen, das uns gar zu oft unterder täuschenden Maske des Humors verkauft wird, wird man ver-gebens bei diesem Autor sucheu, für den die Dichtung, und alleKunst, wohl ein Mittel ist, die Menschen zu beglücken, aber nurdurch den ernsten tapferen Kampf. Und daß er diese Gedanken-und Seelenkümpfe so freundlich vorzuführen weiß, das bezeichnetfreilich auch die Grenzen feines Könnens.
Deshalb bleibt Wilbrandts höchstes Werk ein dramatisches.Auf der Bühne zwang den geübten Dramaturgen die Rücksicht aufdas Publikum, mit Wahrscheinlichkeiten strenger zu rechnen, als derErzähler that. Und eben deshalb durfte er Wunder vorzuführenwagen.
Weit ist der Weg von „Arria und Messalina " (1874) zum„Meister vou Palmyra" (1889). Ein halbes Menschenaltertrennt das Nömerstück des Shakespeareaners von dem Mysteriumdes inzwischen in Wien an Grillparzer und Raimund zu neuerArt Herangereiften. Einst waren dem eifrigen Leser antiker Autorenaus Tacitus die Kontrastgestalten der edlen ernsten Arria und derüppigen Messalina erschienen; aber — bezeichnend genug — sieblieben ihm starr wie „Statnen", bis die Figur des Marcus ihmaufging und diese LieblingSfigur die „Marmorbilder" in Bewegungsetzte. Es blieb trotz der mächtigen Wirkung, zu der die genialeDarstellung einer Charlotte Wolter der glänzenden Virtuosin derSünde, Messalina , verHals, eine Tragödie von jener bösen Art, in