„Der Meister rwn Palmyra
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Kraft nicht aus. In einer Zeit, da alles dem Realismus zu-strebte, diese Pfade zu wandeln, war tapfer genug; und es belohntesich: fast als Einziger zeigte Wilbrandt, was die Hamerling undJordan nie hatten zeigen können, daß eine „Gedankendichtnng"poetische Wahrheit, poetisches Leben, poetische Wirkung besitzenkönne.
So hat sich Wilbrandt von Heyse zuletzt doch weit genug ent-fernt. Enger blieb ein anderer Schüler an die Pfade des Lehrersgefesselt, ein Schüler, der in schöner Dankbarkeit nie verleugnethat, was er diesem verdankt: Ludwig Fulda (geb. 1862 inFrankfurt am Main ). Er bekennt selbst:
Ich wählte dich zum Führer ohne Schwanken,Obgleich beinah zum Märchen worden istDer Mut zu lernen und der Mut zu danken.
In diesem Spätling, dessen nähere Würdigung einem andernZeitraum zufällt, klingt noch einmal ein Accord aus den Haupt-tönen der Periode 1850—1860. Er hat etwas von den Epi-gonen, die Sorgfalt der Form vor allem; viel von den Ver-tretern der Besänftigungslitteratur, unter denen ihm besondersRoquette nahe steht: die etwas künstliche Entfremdung von denMißklängen und Härten des wirklichen Lebens; nicht wenig von denAgitatoren, mit denen ihn die Pädagogische und politisch-socialeTendenz verbindet. Selbst jener Konflikt zwischen Lebensfreudeund Weltschmerz, den wir für das Jahrzehnt besonders charakte-ristisch fanden, klingt wie ein leiser Oberton in den Optimismusseiner Poesie herein — ein Optimismus, der nicht der der starkenSeelen, eines Gottfried Keller etwa, ist, sondern an den Gottes-glauben jenes französischen Marquis erinnert: „ich habe nie anGott gezweifelt — ich habe mich immer in guter Gesellschaftbewegt".
So ruft uns Fulda noch einmal die Hauptklipppe dieses Jahr-zehnts unserer Dichtung ins Gedächtnis: wir sind wieder aufdem Wege zu einer Salon-Litteratur. Man hatte mit der Ver-bindung von Poesie und Leben, wie die Nevolutionsdichtung siedarstellte, zu schlimme Erfahrungen gemacht; nun stellte sich eineneue Entfremdung zwischen beiden ein.
Dennoch hat diese Periode als ein Zeitraum der Sammlung,der Erholung, der Vorbereitung einer neuen Vereinignng von Knnstund Leben vorgearbeitet. Selbst die aristokratische Kunst eines